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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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Kindeskinder entsetzen, so ward in Stra߬
burg oft des unglücklichen Prätors Kling¬
ling
gedacht, der, nachdem er die höchste
Stufe irdischer Glückseligkeit erstiegen, Stadt
und Land fast unumschränkt beherrscht und
alles genossen, was Vermögen, Rang und
Einfluß nur gewähren können, endlich die
Hofgunst verloren habe, und wegen alles des¬
sen, was man ihm bisher nachgesehn, zur
Verantwortung gezogen worden, ja sogar in
den Kerker gebracht, wo er, über siebenzig
Jahre alt, eines zweydeutigen Todes ver¬
blichen.

Diese und andere Geschichten wußte jener
Ludwigsritter, unser Tischgenosse, mit Leiden¬
schaft und Lebhaftigkeit zu erzählen, deswe¬
gen ich auch gern auf Spazirgängen mich zu
ihm gesellte, anders als die Uebrigen, die
solchen Einladungen auswichen und mich mit
ihm allein ließen. Da ich mich bey neuen
Bekanntschaften meistentheils eine Zeit lang

Kindeskinder entſetzen, ſo ward in Stra߬
burg oft des ungluͤcklichen Praͤtors Kling¬
ling
gedacht, der, nachdem er die hoͤchſte
Stufe irdiſcher Gluͤckſeligkeit erſtiegen, Stadt
und Land faſt unumſchraͤnkt beherrſcht und
alles genoſſen, was Vermoͤgen, Rang und
Einfluß nur gewaͤhren koͤnnen, endlich die
Hofgunſt verloren habe, und wegen alles deſ¬
ſen, was man ihm bisher nachgeſehn, zur
Verantwortung gezogen worden, ja ſogar in
den Kerker gebracht, wo er, uͤber ſiebenzig
Jahre alt, eines zweydeutigen Todes ver¬
blichen.

Dieſe und andere Geſchichten wußte jener
Ludwigsritter, unſer Tiſchgenoſſe, mit Leiden¬
ſchaft und Lebhaftigkeit zu erzaͤhlen, deswe¬
gen ich auch gern auf Spazirgaͤngen mich zu
ihm geſellte, anders als die Uebrigen, die
ſolchen Einladungen auswichen und mich mit
ihm allein ließen. Da ich mich bey neuen
Bekanntſchaften meiſtentheils eine Zeit lang

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[397/0405] Kindeskinder entſetzen, ſo ward in Stra߬ burg oft des ungluͤcklichen Praͤtors Kling¬ ling gedacht, der, nachdem er die hoͤchſte Stufe irdiſcher Gluͤckſeligkeit erſtiegen, Stadt und Land faſt unumſchraͤnkt beherrſcht und alles genoſſen, was Vermoͤgen, Rang und Einfluß nur gewaͤhren koͤnnen, endlich die Hofgunſt verloren habe, und wegen alles deſ¬ ſen, was man ihm bisher nachgeſehn, zur Verantwortung gezogen worden, ja ſogar in den Kerker gebracht, wo er, uͤber ſiebenzig Jahre alt, eines zweydeutigen Todes ver¬ blichen. Dieſe und andere Geſchichten wußte jener Ludwigsritter, unſer Tiſchgenoſſe, mit Leiden¬ ſchaft und Lebhaftigkeit zu erzaͤhlen, deswe¬ gen ich auch gern auf Spazirgaͤngen mich zu ihm geſellte, anders als die Uebrigen, die ſolchen Einladungen auswichen und mich mit ihm allein ließen. Da ich mich bey neuen Bekanntſchaften meiſtentheils eine Zeit lang

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/405>, abgerufen am 27.11.2024.