Kindeskinder entsetzen, so ward in Stra߬ burg oft des unglücklichen Prätors Kling¬ ling gedacht, der, nachdem er die höchste Stufe irdischer Glückseligkeit erstiegen, Stadt und Land fast unumschränkt beherrscht und alles genossen, was Vermögen, Rang und Einfluß nur gewähren können, endlich die Hofgunst verloren habe, und wegen alles des¬ sen, was man ihm bisher nachgesehn, zur Verantwortung gezogen worden, ja sogar in den Kerker gebracht, wo er, über siebenzig Jahre alt, eines zweydeutigen Todes ver¬ blichen.
Diese und andere Geschichten wußte jener Ludwigsritter, unser Tischgenosse, mit Leiden¬ schaft und Lebhaftigkeit zu erzählen, deswe¬ gen ich auch gern auf Spazirgängen mich zu ihm gesellte, anders als die Uebrigen, die solchen Einladungen auswichen und mich mit ihm allein ließen. Da ich mich bey neuen Bekanntschaften meistentheils eine Zeit lang
Kindeskinder entſetzen, ſo ward in Stra߬ burg oft des ungluͤcklichen Praͤtors Kling¬ ling gedacht, der, nachdem er die hoͤchſte Stufe irdiſcher Gluͤckſeligkeit erſtiegen, Stadt und Land faſt unumſchraͤnkt beherrſcht und alles genoſſen, was Vermoͤgen, Rang und Einfluß nur gewaͤhren koͤnnen, endlich die Hofgunſt verloren habe, und wegen alles deſ¬ ſen, was man ihm bisher nachgeſehn, zur Verantwortung gezogen worden, ja ſogar in den Kerker gebracht, wo er, uͤber ſiebenzig Jahre alt, eines zweydeutigen Todes ver¬ blichen.
Dieſe und andere Geſchichten wußte jener Ludwigsritter, unſer Tiſchgenoſſe, mit Leiden¬ ſchaft und Lebhaftigkeit zu erzaͤhlen, deswe¬ gen ich auch gern auf Spazirgaͤngen mich zu ihm geſellte, anders als die Uebrigen, die ſolchen Einladungen auswichen und mich mit ihm allein ließen. Da ich mich bey neuen Bekanntſchaften meiſtentheils eine Zeit lang
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0405"n="397"/>
Kindeskinder entſetzen, ſo ward in Stra߬<lb/>
burg oft des ungluͤcklichen Praͤtors <hirendition="#g">Kling¬<lb/>
ling</hi> gedacht, der, nachdem er die hoͤchſte<lb/>
Stufe irdiſcher Gluͤckſeligkeit erſtiegen, Stadt<lb/>
und Land faſt unumſchraͤnkt beherrſcht und<lb/>
alles genoſſen, was Vermoͤgen, Rang und<lb/>
Einfluß nur gewaͤhren koͤnnen, endlich die<lb/>
Hofgunſt verloren habe, und wegen alles deſ¬<lb/>ſen, was man ihm bisher nachgeſehn, zur<lb/>
Verantwortung gezogen worden, ja ſogar in<lb/>
den Kerker gebracht, wo er, uͤber ſiebenzig<lb/>
Jahre alt, eines zweydeutigen Todes ver¬<lb/>
blichen.</p><lb/><p>Dieſe und andere Geſchichten wußte jener<lb/>
Ludwigsritter, unſer Tiſchgenoſſe, mit Leiden¬<lb/>ſchaft und Lebhaftigkeit zu erzaͤhlen, deswe¬<lb/>
gen ich auch gern auf Spazirgaͤngen mich zu<lb/>
ihm geſellte, anders als die Uebrigen, die<lb/>ſolchen Einladungen auswichen und mich mit<lb/>
ihm allein ließen. Da ich mich bey neuen<lb/>
Bekanntſchaften meiſtentheils eine Zeit lang<lb/></p></div></body></text></TEI>
[397/0405]
Kindeskinder entſetzen, ſo ward in Stra߬
burg oft des ungluͤcklichen Praͤtors Kling¬
ling gedacht, der, nachdem er die hoͤchſte
Stufe irdiſcher Gluͤckſeligkeit erſtiegen, Stadt
und Land faſt unumſchraͤnkt beherrſcht und
alles genoſſen, was Vermoͤgen, Rang und
Einfluß nur gewaͤhren koͤnnen, endlich die
Hofgunſt verloren habe, und wegen alles deſ¬
ſen, was man ihm bisher nachgeſehn, zur
Verantwortung gezogen worden, ja ſogar in
den Kerker gebracht, wo er, uͤber ſiebenzig
Jahre alt, eines zweydeutigen Todes ver¬
blichen.
Dieſe und andere Geſchichten wußte jener
Ludwigsritter, unſer Tiſchgenoſſe, mit Leiden¬
ſchaft und Lebhaftigkeit zu erzaͤhlen, deswe¬
gen ich auch gern auf Spazirgaͤngen mich zu
ihm geſellte, anders als die Uebrigen, die
ſolchen Einladungen auswichen und mich mit
ihm allein ließen. Da ich mich bey neuen
Bekanntſchaften meiſtentheils eine Zeit lang
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/405>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.