den. Blondel, ein Pariser Baumeister, zeichnete darauf einen Vorschlag, durch wel¬ chen hundert und vierzig Hausbesitzer an Raum gewannen, achtzig verloren und die übrigen in ihrem vorigen Zustande blieben. Dieser genehmigte, aber nicht auf einmal in Ausführung zu bringende Plan sollte nun durch die Zeit seiner Vollständigkeit entgegen wachsen, indessen die Stadt, wunderlich ge¬ nug, zwischen Form und Unform schwankte. Sollte z. B. eine eingebogene Straßenseite gerad werden, so rückte der erste Baulustige auf die bestimmte Linie vor; vielleicht sein nächster Nachbar, vielleicht aber auch der drit¬ te, vierte Besitzer von da, durch welche Vor¬ sprünge die ungeschicktesten Vertiefungen als Vorhöfe der hinterliegenden Häuser zurück¬ blieben. Gewalt wollte man nicht brauchen, aber ohne Nöthigung wäre man gar nicht vorwärts gekommen, deswegen durfte Niemand an seinem einmal verurtheilten Hause etwas bessern oder herstellen, was sich auf die Stra¬
den. Blondel, ein Pariſer Baumeiſter, zeichnete darauf einen Vorſchlag, durch wel¬ chen hundert und vierzig Hausbeſitzer an Raum gewannen, achtzig verloren und die uͤbrigen in ihrem vorigen Zuſtande blieben. Dieſer genehmigte, aber nicht auf einmal in Ausfuͤhrung zu bringende Plan ſollte nun durch die Zeit ſeiner Vollſtaͤndigkeit entgegen wachſen, indeſſen die Stadt, wunderlich ge¬ nug, zwiſchen Form und Unform ſchwankte. Sollte z. B. eine eingebogene Straßenſeite gerad werden, ſo ruͤckte der erſte Bauluſtige auf die beſtimmte Linie vor; vielleicht ſein naͤchſter Nachbar, vielleicht aber auch der drit¬ te, vierte Beſitzer von da, durch welche Vor¬ ſpruͤnge die ungeſchickteſten Vertiefungen als Vorhoͤfe der hinterliegenden Haͤuſer zuruͤck¬ blieben. Gewalt wollte man nicht brauchen, aber ohne Noͤthigung waͤre man gar nicht vorwaͤrts gekommen, deswegen durfte Niemand an ſeinem einmal verurtheilten Hauſe etwas beſſern oder herſtellen, was ſich auf die Stra¬
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[394/0402]
den. Blondel, ein Pariſer Baumeiſter,
zeichnete darauf einen Vorſchlag, durch wel¬
chen hundert und vierzig Hausbeſitzer an
Raum gewannen, achtzig verloren und die
uͤbrigen in ihrem vorigen Zuſtande blieben.
Dieſer genehmigte, aber nicht auf einmal in
Ausfuͤhrung zu bringende Plan ſollte nun
durch die Zeit ſeiner Vollſtaͤndigkeit entgegen
wachſen, indeſſen die Stadt, wunderlich ge¬
nug, zwiſchen Form und Unform ſchwankte.
Sollte z. B. eine eingebogene Straßenſeite
gerad werden, ſo ruͤckte der erſte Bauluſtige
auf die beſtimmte Linie vor; vielleicht ſein
naͤchſter Nachbar, vielleicht aber auch der drit¬
te, vierte Beſitzer von da, durch welche Vor¬
ſpruͤnge die ungeſchickteſten Vertiefungen als
Vorhoͤfe der hinterliegenden Haͤuſer zuruͤck¬
blieben. Gewalt wollte man nicht brauchen,
aber ohne Noͤthigung waͤre man gar nicht
vorwaͤrts gekommen, deswegen durfte Niemand
an ſeinem einmal verurtheilten Hauſe etwas
beſſern oder herſtellen, was ſich auf die Stra¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/402>, abgerufen am 27.11.2024.
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