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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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auf die mich jedoch der Freund, wiewohl
milde genug, aufmerksam zu machen pflegte.

Damit ich aber dabey symbolisch erführe,
wie sehr man sich auch im Aeußern in die
Gesellschaft zu schicken und nach ihr zu rich¬
ten hat, so ward ich zu etwas genöthigt,
welches mir das Unangenehmste von der Welt
schien. Ich hatte zwar sehr schöne Haare,
aber mein Straßburger Friseur versicherte mir
sogleich, daß sie viel zu tief nach hinten hin ver¬
schnitten seyen und daß es ihm unmöglich werde,
daraus eine Frisur zu bilden, in welcher ich
mich produciren dürfe, weil nur wenig kurze
und gekrauste Vorderhaare statuirt würden,
alles Uebrige vom Scheitel an in den Zopf
oder Haarbeutel gebunden werden müsse. Hier¬
bey bleibe nun nichts übrig, als mir eine Haar¬
tour gefallen zu lassen, bis der natürliche
Wachsthum sich wieder nach den Erfordernissen
der Zeit hergestellt habe. Er versprach mir, daß
Niemand diesen unschuldigen Betrug, gegen

auf die mich jedoch der Freund, wiewohl
milde genug, aufmerkſam zu machen pflegte.

Damit ich aber dabey ſymboliſch erfuͤhre,
wie ſehr man ſich auch im Aeußern in die
Geſellſchaft zu ſchicken und nach ihr zu rich¬
ten hat, ſo ward ich zu etwas genoͤthigt,
welches mir das Unangenehmſte von der Welt
ſchien. Ich hatte zwar ſehr ſchoͤne Haare,
aber mein Straßburger Friſeur verſicherte mir
ſogleich, daß ſie viel zu tief nach hinten hin ver¬
ſchnitten ſeyen und daß es ihm unmoͤglich werde,
daraus eine Friſur zu bilden, in welcher ich
mich produciren duͤrfe, weil nur wenig kurze
und gekrauſte Vorderhaare ſtatuirt wuͤrden,
alles Uebrige vom Scheitel an in den Zopf
oder Haarbeutel gebunden werden muͤſſe. Hier¬
bey bleibe nun nichts uͤbrig, als mir eine Haar¬
tour gefallen zu laſſen, bis der natuͤrliche
Wachsthum ſich wieder nach den Erforderniſſen
der Zeit hergeſtellt habe. Er verſprach mir, daß
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[376/0384] auf die mich jedoch der Freund, wiewohl milde genug, aufmerkſam zu machen pflegte. Damit ich aber dabey ſymboliſch erfuͤhre, wie ſehr man ſich auch im Aeußern in die Geſellſchaft zu ſchicken und nach ihr zu rich¬ ten hat, ſo ward ich zu etwas genoͤthigt, welches mir das Unangenehmſte von der Welt ſchien. Ich hatte zwar ſehr ſchoͤne Haare, aber mein Straßburger Friſeur verſicherte mir ſogleich, daß ſie viel zu tief nach hinten hin ver¬ ſchnitten ſeyen und daß es ihm unmoͤglich werde, daraus eine Friſur zu bilden, in welcher ich mich produciren duͤrfe, weil nur wenig kurze und gekrauſte Vorderhaare ſtatuirt wuͤrden, alles Uebrige vom Scheitel an in den Zopf oder Haarbeutel gebunden werden muͤſſe. Hier¬ bey bleibe nun nichts uͤbrig, als mir eine Haar¬ tour gefallen zu laſſen, bis der natuͤrliche Wachsthum ſich wieder nach den Erforderniſſen der Zeit hergeſtellt habe. Er verſprach mir, daß Niemand dieſen unſchuldigen Betrug, gegen

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/384>, abgerufen am 27.11.2024.