Jener gewaltige Hof- und Prachtstrom war nunmehr vorübergeronnen und hatte mir keine andre Sehnsucht zurückgelassen, als nach je¬ nen Raphael'schen Teppichen, welche ich gern jeden Tag und Stunde betrachtet, verehrt, ja angebetet hätte. Glücklicherweise gelang es meinen leidenschaftlichen Bemühungen, meh¬ rere Personen von Bedeutung dafür zu interessi¬ ren, so daß sie erst so spät als möglich abgenom¬ men und eingepackt wurden. Wir überließen uns nunmehr wieder unserm stillen gemächlichen Universitäts- und Gesellschaftsgang, und bey dem letzten blieb Actuarius Salzmann, unser Tischpräsident, der allgemeine Pädagog. Sein Verstand, seine Nachgiebigkeit, seine Würde, die er bey allem Scherz und selbst manchmal bey kleinen Ausschweifungen, die er uns er¬ laubte, immer zu erhalten wußte, machten ihn der ganzen Gesellschaft lieb und werth, und ich wüßte nur wenige Fälle, wo er sein ernstliches Misfallen bezeigt, oder mit Auto¬ rität zwischen kleine Händel und Streitigkei¬
Jener gewaltige Hof- und Prachtſtrom war nunmehr voruͤbergeronnen und hatte mir keine andre Sehnſucht zuruͤckgelaſſen, als nach je¬ nen Raphael'ſchen Teppichen, welche ich gern jeden Tag und Stunde betrachtet, verehrt, ja angebetet haͤtte. Gluͤcklicherweiſe gelang es meinen leidenſchaftlichen Bemuͤhungen, meh¬ rere Perſonen von Bedeutung dafuͤr zu intereſſi¬ ren, ſo daß ſie erſt ſo ſpaͤt als moͤglich abgenom¬ men und eingepackt wurden. Wir uͤberließen uns nunmehr wieder unſerm ſtillen gemaͤchlichen Univerſitaͤts- und Geſellſchaftsgang, und bey dem letzten blieb Actuarius Salzmann, unſer Tiſchpraͤſident, der allgemeine Paͤdagog. Sein Verſtand, ſeine Nachgiebigkeit, ſeine Wuͤrde, die er bey allem Scherz und ſelbſt manchmal bey kleinen Ausſchweifungen, die er uns er¬ laubte, immer zu erhalten wußte, machten ihn der ganzen Geſellſchaft lieb und werth, und ich wuͤßte nur wenige Faͤlle, wo er ſein ernſtliches Misfallen bezeigt, oder mit Auto¬ ritaͤt zwiſchen kleine Haͤndel und Streitigkei¬
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Jener gewaltige Hof- und Prachtſtrom war
nunmehr voruͤbergeronnen und hatte mir keine
andre Sehnſucht zuruͤckgelaſſen, als nach je¬
nen Raphael'ſchen Teppichen, welche ich gern
jeden Tag und Stunde betrachtet, verehrt,
ja angebetet haͤtte. Gluͤcklicherweiſe gelang es
meinen leidenſchaftlichen Bemuͤhungen, meh¬
rere Perſonen von Bedeutung dafuͤr zu intereſſi¬
ren, ſo daß ſie erſt ſo ſpaͤt als moͤglich abgenom¬
men und eingepackt wurden. Wir uͤberließen
uns nunmehr wieder unſerm ſtillen gemaͤchlichen
Univerſitaͤts- und Geſellſchaftsgang, und bey
dem letzten blieb Actuarius Salzmann, unſer
Tiſchpraͤſident, der allgemeine Paͤdagog. Sein
Verſtand, ſeine Nachgiebigkeit, ſeine Wuͤrde,
die er bey allem Scherz und ſelbſt manchmal
bey kleinen Ausſchweifungen, die er uns er¬
laubte, immer zu erhalten wußte, machten
ihn der ganzen Geſellſchaft lieb und werth,
und ich wuͤßte nur wenige Faͤlle, wo er ſein
ernſtliches Misfallen bezeigt, oder mit Auto¬
ritaͤt zwiſchen kleine Haͤndel und Streitigkei¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/378>, abgerufen am 27.11.2024.
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