haupt vor den übrigen, sowohl in Absicht auf die Berühmtheit der Lehrer als die Fre¬ quenz der Lernenden, und so zog mich der Strom dahin, um so leichter, als ich von allen diesen Dingen gerade so viel Kenntniß hatte, daß meine Wissenslust bald vermehrt und angefeuert werden konnte. Beym Ein¬ tritt des zweyten Semesters besuchte ich da¬ her Chemie bey Spielmann, Anatomie bey Lobstein, und nahm mir vor, recht fleißig zu seyn, weil ich bey unserer Societät, durch meine wunderlichen Vor- oder vielmehr Ueberkenntnisse, schon einiges Ansehen und Zutrauen erworben hatte.
Doch es war an dieser Zerstreuung und Zerstückelung meiner Studien nicht genug, sie sollten abermals bedeutend gestört werden: denn eine merkwürdige Staatsbegebenheit setzte alles in Bewegung und verschaffte uns eine ziemliche Reihe Feyertage. Marie An¬ toinette, Erzherzoginn von Oesterreich, Köni¬
haupt vor den uͤbrigen, ſowohl in Abſicht auf die Beruͤhmtheit der Lehrer als die Fre¬ quenz der Lernenden, und ſo zog mich der Strom dahin, um ſo leichter, als ich von allen dieſen Dingen gerade ſo viel Kenntniß hatte, daß meine Wiſſensluſt bald vermehrt und angefeuert werden konnte. Beym Ein¬ tritt des zweyten Semeſters beſuchte ich da¬ her Chemie bey Spielmann, Anatomie bey Lobſtein, und nahm mir vor, recht fleißig zu ſeyn, weil ich bey unſerer Societaͤt, durch meine wunderlichen Vor- oder vielmehr Ueberkenntniſſe, ſchon einiges Anſehen und Zutrauen erworben hatte.
Doch es war an dieſer Zerſtreuung und Zerſtuͤckelung meiner Studien nicht genug, ſie ſollten abermals bedeutend geſtoͤrt werden: denn eine merkwuͤrdige Staatsbegebenheit ſetzte alles in Bewegung und verſchaffte uns eine ziemliche Reihe Feyertage. Marie An¬ toinette, Erzherzoginn von Oeſterreich, Koͤni¬
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haupt vor den uͤbrigen, ſowohl in Abſicht
auf die Beruͤhmtheit der Lehrer als die Fre¬
quenz der Lernenden, und ſo zog mich der
Strom dahin, um ſo leichter, als ich von
allen dieſen Dingen gerade ſo viel Kenntniß
hatte, daß meine Wiſſensluſt bald vermehrt
und angefeuert werden konnte. Beym Ein¬
tritt des zweyten Semeſters beſuchte ich da¬
her Chemie bey Spielmann, Anatomie
bey Lobſtein, und nahm mir vor, recht
fleißig zu ſeyn, weil ich bey unſerer Societaͤt,
durch meine wunderlichen Vor- oder vielmehr
Ueberkenntniſſe, ſchon einiges Anſehen und
Zutrauen erworben hatte.
Doch es war an dieſer Zerſtreuung und
Zerſtuͤckelung meiner Studien nicht genug, ſie
ſollten abermals bedeutend geſtoͤrt werden:
denn eine merkwuͤrdige Staatsbegebenheit
ſetzte alles in Bewegung und verſchaffte uns
eine ziemliche Reihe Feyertage. Marie An¬
toinette, Erzherzoginn von Oeſterreich, Koͤni¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/367>, abgerufen am 26.11.2024.
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