Juristen im weiten und gelehrten Sinne zu bilden suche. Hier sey alles, dem Verhältniß gegen Frankreich gemäß, eigentlich auf das Practische gerichtet und nach dem Sinne der Franzosen eingeleitet, welche gern bey dem Gegebnen verharren. Gewisse allgemeine Grundsätze, gewisse Vorkenntnisse suche man einem Jeden beyzubringen, man fasse sich so kurz wie möglich und überliefere nur das Nothwendigste. Er machte mich darauf mit einem Manne bekannt, zu dem man, als Repetenten, ein großes Vertrauen hegte; welches dieser sich auch bey mir sehr bald zu erwerben wußte. Ich fing an mit ihm zur Einleitung über Gegenstände der Rechtswis¬ senschaft zu sprechen, und er wunderte sich nicht wenig über mein Schwadroniren: denn mehr als ich in meiner bisherigen Darstel¬ lung aufzuführen Gelegenheit nahm, hatte ich bey meinem Aufenthalte in Leipzig an Einsicht in die Rechtserfordernisse gewonnen, obgleich mein ganzer Erwerb nur als ein all¬
Juriſten im weiten und gelehrten Sinne zu bilden ſuche. Hier ſey alles, dem Verhaͤltniß gegen Frankreich gemaͤß, eigentlich auf das Practiſche gerichtet und nach dem Sinne der Franzoſen eingeleitet, welche gern bey dem Gegebnen verharren. Gewiſſe allgemeine Grundſaͤtze, gewiſſe Vorkenntniſſe ſuche man einem Jeden beyzubringen, man faſſe ſich ſo kurz wie moͤglich und uͤberliefere nur das Nothwendigſte. Er machte mich darauf mit einem Manne bekannt, zu dem man, als Repetenten, ein großes Vertrauen hegte; welches dieſer ſich auch bey mir ſehr bald zu erwerben wußte. Ich fing an mit ihm zur Einleitung uͤber Gegenſtaͤnde der Rechtswiſ¬ ſenſchaft zu ſprechen, und er wunderte ſich nicht wenig uͤber mein Schwadroniren: denn mehr als ich in meiner bisherigen Darſtel¬ lung aufzufuͤhren Gelegenheit nahm, hatte ich bey meinem Aufenthalte in Leipzig an Einſicht in die Rechtserforderniſſe gewonnen, obgleich mein ganzer Erwerb nur als ein all¬
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Juriſten im weiten und gelehrten Sinne zu
bilden ſuche. Hier ſey alles, dem Verhaͤltniß
gegen Frankreich gemaͤß, eigentlich auf das
Practiſche gerichtet und nach dem Sinne der
Franzoſen eingeleitet, welche gern bey dem
Gegebnen verharren. Gewiſſe allgemeine
Grundſaͤtze, gewiſſe Vorkenntniſſe ſuche man
einem Jeden beyzubringen, man faſſe ſich ſo
kurz wie moͤglich und uͤberliefere nur das
Nothwendigſte. Er machte mich darauf mit
einem Manne bekannt, zu dem man, als
Repetenten, ein großes Vertrauen hegte;
welches dieſer ſich auch bey mir ſehr bald zu
erwerben wußte. Ich fing an mit ihm zur
Einleitung uͤber Gegenſtaͤnde der Rechtswiſ¬
ſenſchaft zu ſprechen, und er wunderte ſich
nicht wenig uͤber mein Schwadroniren: denn
mehr als ich in meiner bisherigen Darſtel¬
lung aufzufuͤhren Gelegenheit nahm, hatte
ich bey meinem Aufenthalte in Leipzig an
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/362>, abgerufen am 25.11.2024.
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