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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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schon lange gezeigt und eine ganze Strecke
her im Auge geblieben war. Als ich nun
erst durch die schmale Gasse diesen Coloß ge¬
wahrte, sodann aber auf dem freylich sehr
engen Platz allzunah vor ihm stand, machte
derselbe auf mich einen Eindruck ganz eigner
Art, den ich aber auf der Stelle zu entwi¬
ckeln unfähig, für dießmal nur dunkel mit mir
nahm, indem ich das Gebäude eilig bestieg,
um nicht den schönen Augenblick einer hohen
und heitern Sonne zu versäumen, welche mir
das weite reiche Land auf einmal offenbaren
sollte.

Und so sah ich denn von der Platt-Form
die schöne Gegend vor mir, in welcher ich
eine Zeit lang wohnen und hausen durfte: die
ansehnliche Stadt, die weitumherliegenden,
mit herrlichen dichten Bäumen besetzten und
durchflochtenen Auen, diesen auffallenden Reich¬
thum der Vegetation, der dem Laufe des
Rheins folgend, die Ufer, Inseln und Wer¬

ſchon lange gezeigt und eine ganze Strecke
her im Auge geblieben war. Als ich nun
erſt durch die ſchmale Gaſſe dieſen Coloß ge¬
wahrte, ſodann aber auf dem freylich ſehr
engen Platz allzunah vor ihm ſtand, machte
derſelbe auf mich einen Eindruck ganz eigner
Art, den ich aber auf der Stelle zu entwi¬
ckeln unfaͤhig, fuͤr dießmal nur dunkel mit mir
nahm, indem ich das Gebaͤude eilig beſtieg,
um nicht den ſchoͤnen Augenblick einer hohen
und heitern Sonne zu verſaͤumen, welche mir
das weite reiche Land auf einmal offenbaren
ſollte.

Und ſo ſah ich denn von der Platt–Form
die ſchoͤne Gegend vor mir, in welcher ich
eine Zeit lang wohnen und hauſen durfte: die
anſehnliche Stadt, die weitumherliegenden,
mit herrlichen dichten Baͤumen beſetzten und
durchflochtenen Auen, dieſen auffallenden Reich¬
thum der Vegetation, der dem Laufe des
Rheins folgend, die Ufer, Inſeln und Wer¬

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[346/0354] ſchon lange gezeigt und eine ganze Strecke her im Auge geblieben war. Als ich nun erſt durch die ſchmale Gaſſe dieſen Coloß ge¬ wahrte, ſodann aber auf dem freylich ſehr engen Platz allzunah vor ihm ſtand, machte derſelbe auf mich einen Eindruck ganz eigner Art, den ich aber auf der Stelle zu entwi¬ ckeln unfaͤhig, fuͤr dießmal nur dunkel mit mir nahm, indem ich das Gebaͤude eilig beſtieg, um nicht den ſchoͤnen Augenblick einer hohen und heitern Sonne zu verſaͤumen, welche mir das weite reiche Land auf einmal offenbaren ſollte. Und ſo ſah ich denn von der Platt–Form die ſchoͤne Gegend vor mir, in welcher ich eine Zeit lang wohnen und hauſen durfte: die anſehnliche Stadt, die weitumherliegenden, mit herrlichen dichten Baͤumen beſetzten und durchflochtenen Auen, dieſen auffallenden Reich¬ thum der Vegetation, der dem Laufe des Rheins folgend, die Ufer, Inſeln und Wer¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/354>, abgerufen am 24.11.2024.