vielen Seiten her offenbarten sich ähnliche Grundsätze und gleiche Gesinnungen. Sie machten auf uns rege Jünglinge sehr großen Eindruck, der um desto entschiedener wirkte, als er durch Wielands Beyspiel noch verstärkt wurde: denn die Werke seiner zweyten glän¬ zenden Epoche bewiesen klärlich, daß er sich nach solchen Maximen gebildet hatte. Und was konnten wir mehr verlangen? Die Phi¬ losophie mit ihren abstrusen Forderungen war beseitigt, die alten Sprachen, deren Erler¬ nung mit so viel Mühseligkeit verknüpft ist, sah man in den Hintergrund gerückt, die Compendien, über deren Zulänglichkeit uns Hamlet schon ein bedenkliches Wort ins Ohr geraunt hatte, wurden immer verdächtiger, man wies uns auf die Betrachtung eines be¬ wegten Lebens hin, das wir so gerne führ¬ ten, und auf die Kenntniß der Leidenschaften, die wir in unserem Busen theils empfanden, theils ahndeten, und die, wenn man sie sonst gescholten hatte, uns nunmehr als etwas
vielen Seiten her offenbarten ſich aͤhnliche Grundſaͤtze und gleiche Geſinnungen. Sie machten auf uns rege Juͤnglinge ſehr großen Eindruck, der um deſto entſchiedener wirkte, als er durch Wielands Beyſpiel noch verſtaͤrkt wurde: denn die Werke ſeiner zweyten glaͤn¬ zenden Epoche bewieſen klaͤrlich, daß er ſich nach ſolchen Maximen gebildet hatte. Und was konnten wir mehr verlangen? Die Phi¬ loſophie mit ihren abſtruſen Forderungen war beſeitigt, die alten Sprachen, deren Erler¬ nung mit ſo viel Muͤhſeligkeit verknuͤpft iſt, ſah man in den Hintergrund geruͤckt, die Compendien, uͤber deren Zulaͤnglichkeit uns Hamlet ſchon ein bedenkliches Wort ins Ohr geraunt hatte, wurden immer verdaͤchtiger, man wies uns auf die Betrachtung eines be¬ wegten Lebens hin, das wir ſo gerne fuͤhr¬ ten, und auf die Kenntniß der Leidenſchaften, die wir in unſerem Buſen theils empfanden, theils ahndeten, und die, wenn man ſie ſonſt geſcholten hatte, uns nunmehr als etwas
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vielen Seiten her offenbarten ſich aͤhnliche
Grundſaͤtze und gleiche Geſinnungen. Sie
machten auf uns rege Juͤnglinge ſehr großen
Eindruck, der um deſto entſchiedener wirkte,
als er durch Wielands Beyſpiel noch verſtaͤrkt
wurde: denn die Werke ſeiner zweyten glaͤn¬
zenden Epoche bewieſen klaͤrlich, daß er ſich
nach ſolchen Maximen gebildet hatte. Und
was konnten wir mehr verlangen? Die Phi¬
loſophie mit ihren abſtruſen Forderungen war
beſeitigt, die alten Sprachen, deren Erler¬
nung mit ſo viel Muͤhſeligkeit verknuͤpft iſt,
ſah man in den Hintergrund geruͤckt, die
Compendien, uͤber deren Zulaͤnglichkeit uns
Hamlet ſchon ein bedenkliches Wort ins Ohr
geraunt hatte, wurden immer verdaͤchtiger,
man wies uns auf die Betrachtung eines be¬
wegten Lebens hin, das wir ſo gerne fuͤhr¬
ten, und auf die Kenntniß der Leidenſchaften,
die wir in unſerem Buſen theils empfanden,
theils ahndeten, und die, wenn man ſie ſonſt
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/349>, abgerufen am 24.11.2024.
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