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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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gegangen ist, wieder vor uns sehen, so daß wir
uns selbst nunmehr als Gegenstand betrachten
können. Allein freylich war ich damals noch
zu jung und die Epoche noch zu nahe, welche
durch diese Papiere dargestellt ward. Ueber¬
haupt, da man in jungen Jahren einen ge¬
wissen selbstgefälligen Dünkel nicht leicht ab¬
legt; so äußert sich dieser besonders darin,
daß man sich im kurz Vorhergegangenen ver¬
achtet: denn indem man freylich von Stufe
zu Stufe gewahr wird, daß dasjenige was
man an sich so wie an Andern für gut und
vortrefflich achtet, nicht Stich hält; so glaubt
man über diese Verlegenheit am besten hinaus¬
zukommen, wenn man das selbst wegwirft,
was man nicht retten kann. So ging es auch
mir. Denn wie ich in Leipzig nach und nach
meine kindlichen Bemühungen geringschätzen
lernte, so kam mir nun meine academische
Laufbahn gleichfalls geringschätzig vor, und ich
sah nicht ein, daß sie eben darum vielen Werth
für mich haben müßte, weil sie mich auf eine

gegangen iſt, wieder vor uns ſehen, ſo daß wir
uns ſelbſt nunmehr als Gegenſtand betrachten
koͤnnen. Allein freylich war ich damals noch
zu jung und die Epoche noch zu nahe, welche
durch dieſe Papiere dargeſtellt ward. Ueber¬
haupt, da man in jungen Jahren einen ge¬
wiſſen ſelbſtgefaͤlligen Duͤnkel nicht leicht ab¬
legt; ſo aͤußert ſich dieſer beſonders darin,
daß man ſich im kurz Vorhergegangenen ver¬
achtet: denn indem man freylich von Stufe
zu Stufe gewahr wird, daß dasjenige was
man an ſich ſo wie an Andern fuͤr gut und
vortrefflich achtet, nicht Stich haͤlt; ſo glaubt
man uͤber dieſe Verlegenheit am beſten hinaus¬
zukommen, wenn man das ſelbſt wegwirft,
was man nicht retten kann. So ging es auch
mir. Denn wie ich in Leipzig nach und nach
meine kindlichen Bemuͤhungen geringſchaͤtzen
lernte, ſo kam mir nun meine academiſche
Laufbahn gleichfalls geringſchaͤtzig vor, und ich
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[317/0325] gegangen iſt, wieder vor uns ſehen, ſo daß wir uns ſelbſt nunmehr als Gegenſtand betrachten koͤnnen. Allein freylich war ich damals noch zu jung und die Epoche noch zu nahe, welche durch dieſe Papiere dargeſtellt ward. Ueber¬ haupt, da man in jungen Jahren einen ge¬ wiſſen ſelbſtgefaͤlligen Duͤnkel nicht leicht ab¬ legt; ſo aͤußert ſich dieſer beſonders darin, daß man ſich im kurz Vorhergegangenen ver¬ achtet: denn indem man freylich von Stufe zu Stufe gewahr wird, daß dasjenige was man an ſich ſo wie an Andern fuͤr gut und vortrefflich achtet, nicht Stich haͤlt; ſo glaubt man uͤber dieſe Verlegenheit am beſten hinaus¬ zukommen, wenn man das ſelbſt wegwirft, was man nicht retten kann. So ging es auch mir. Denn wie ich in Leipzig nach und nach meine kindlichen Bemuͤhungen geringſchaͤtzen lernte, ſo kam mir nun meine academiſche Laufbahn gleichfalls geringſchaͤtzig vor, und ich ſah nicht ein, daß ſie eben darum vielen Werth fuͤr mich haben muͤßte, weil ſie mich auf eine

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/325>, abgerufen am 24.11.2024.