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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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gen, und es war ein sehr niederschlagendes
Gefühl, daß ich nunmehr gleichsam als ein
Schiffbrüchiger zurückkehrte. Da ich mir je¬
doch nicht sonderlich viel vorzuwerfen hatte, so
wußte ich mich ziemlich zu beruhigen; indes¬
sen war der Willkommen nicht ohne Bewe¬
gung. Die große Lebhaftigkeit meiner Natur
durch Krankheit gereizt und erhöht, verur¬
sachte eine leidenschaftliche Scene. Ich mochte
übler aussehen als ich selbst wußte: denn ich
hatte lange keinen Spiegel zurath gezogen;
und wer wird sich denn nicht selbst gewohnt:
genug man kam stillschweigend überein, man¬
cherley Mittheilungen erst nach und nach zu
bewirken und vor allen Dingen sowohl kör¬
perlich als geistig einige Beruhigung eintreten
zu lassen.

Meine Schwester gesellte sich gleich zu
mir, und wie vorläufig aus ihren Briefen, so
konnte ich nunmehr umständlicher und genauer
die Verhältnisse und die Lage der Familie ver¬

gen, und es war ein ſehr niederſchlagendes
Gefuͤhl, daß ich nunmehr gleichſam als ein
Schiffbruͤchiger zuruͤckkehrte. Da ich mir je¬
doch nicht ſonderlich viel vorzuwerfen hatte, ſo
wußte ich mich ziemlich zu beruhigen; indeſ¬
ſen war der Willkommen nicht ohne Bewe¬
gung. Die große Lebhaftigkeit meiner Natur
durch Krankheit gereizt und erhoͤht, verur¬
ſachte eine leidenſchaftliche Scene. Ich mochte
uͤbler ausſehen als ich ſelbſt wußte: denn ich
hatte lange keinen Spiegel zurath gezogen;
und wer wird ſich denn nicht ſelbſt gewohnt:
genug man kam ſtillſchweigend uͤberein, man¬
cherley Mittheilungen erſt nach und nach zu
bewirken und vor allen Dingen ſowohl koͤr¬
perlich als geiſtig einige Beruhigung eintreten
zu laſſen.

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[298/0306] gen, und es war ein ſehr niederſchlagendes Gefuͤhl, daß ich nunmehr gleichſam als ein Schiffbruͤchiger zuruͤckkehrte. Da ich mir je¬ doch nicht ſonderlich viel vorzuwerfen hatte, ſo wußte ich mich ziemlich zu beruhigen; indeſ¬ ſen war der Willkommen nicht ohne Bewe¬ gung. Die große Lebhaftigkeit meiner Natur durch Krankheit gereizt und erhoͤht, verur¬ ſachte eine leidenſchaftliche Scene. Ich mochte uͤbler ausſehen als ich ſelbſt wußte: denn ich hatte lange keinen Spiegel zurath gezogen; und wer wird ſich denn nicht ſelbſt gewohnt: genug man kam ſtillſchweigend uͤberein, man¬ cherley Mittheilungen erſt nach und nach zu bewirken und vor allen Dingen ſowohl koͤr¬ perlich als geiſtig einige Beruhigung eintreten zu laſſen. Meine Schweſter geſellte ſich gleich zu mir, und wie vorlaͤufig aus ihren Briefen, ſo konnte ich nunmehr umſtaͤndlicher und genauer die Verhaͤltniſſe und die Lage der Familie ver¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/306>, abgerufen am 23.11.2024.