stände, Licht, Schatten, bräunlicher Teint des Ganzen, magische Haltung, alles was man in jenen Bildern bewundert, sah ich hier in der Wirklichkeit. Es war das erste Mal, daß ich auf einen so hohen Grad die Gabe ge¬ wahr wurde, die ich nachher mit mehrerem Bewußtseyn übte, die Natur nämlich mit den Augen dieses oder jenes Künstlers zu se¬ hen, dessen Werken ich so eben eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet hatte. Diese Fä¬ higkeit hat mir viel Genuß gewährt, aber auch die Begierde vermehrt, der Ausübung eines Talents, das mir die Natur versagt zu haben schien, von Zeit zu Zeit eifrig nachzuhängen.
Ich besuchte die Gallerie zu allen ver¬ gönnten Stunden, und fuhr fort mein Ent¬ zücken über manche köstliche Werke vorlaut auszusprechen. Ich vereitelte dadurch meinen löblichen Vorsatz, unbekannt und unbemerkt zu bleiben; und da sich bisher nur ein Unterauf¬ seher mit mir abgegeben hatte, nahm nun
ſtaͤnde, Licht, Schatten, braͤunlicher Teint des Ganzen, magiſche Haltung, alles was man in jenen Bildern bewundert, ſah ich hier in der Wirklichkeit. Es war das erſte Mal, daß ich auf einen ſo hohen Grad die Gabe ge¬ wahr wurde, die ich nachher mit mehrerem Bewußtſeyn uͤbte, die Natur naͤmlich mit den Augen dieſes oder jenes Kuͤnſtlers zu ſe¬ hen, deſſen Werken ich ſo eben eine beſondere Aufmerkſamkeit gewidmet hatte. Dieſe Faͤ¬ higkeit hat mir viel Genuß gewaͤhrt, aber auch die Begierde vermehrt, der Ausuͤbung eines Talents, das mir die Natur verſagt zu haben ſchien, von Zeit zu Zeit eifrig nachzuhaͤngen.
Ich beſuchte die Gallerie zu allen ver¬ goͤnnten Stunden, und fuhr fort mein Ent¬ zuͤcken uͤber manche koͤſtliche Werke vorlaut auszuſprechen. Ich vereitelte dadurch meinen loͤblichen Vorſatz, unbekannt und unbemerkt zu bleiben; und da ſich bisher nur ein Unterauf¬ ſeher mit mir abgegeben hatte, nahm nun
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ſtaͤnde, Licht, Schatten, braͤunlicher Teint des
Ganzen, magiſche Haltung, alles was man
in jenen Bildern bewundert, ſah ich hier in
der Wirklichkeit. Es war das erſte Mal, daß
ich auf einen ſo hohen Grad die Gabe ge¬
wahr wurde, die ich nachher mit mehrerem
Bewußtſeyn uͤbte, die Natur naͤmlich mit
den Augen dieſes oder jenes Kuͤnſtlers zu ſe¬
hen, deſſen Werken ich ſo eben eine beſondere
Aufmerkſamkeit gewidmet hatte. Dieſe Faͤ¬
higkeit hat mir viel Genuß gewaͤhrt, aber auch
die Begierde vermehrt, der Ausuͤbung eines
Talents, das mir die Natur verſagt zu haben
ſchien, von Zeit zu Zeit eifrig nachzuhaͤngen.
Ich beſuchte die Gallerie zu allen ver¬
goͤnnten Stunden, und fuhr fort mein Ent¬
zuͤcken uͤber manche koͤſtliche Werke vorlaut
auszuſprechen. Ich vereitelte dadurch meinen
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bleiben; und da ſich bisher nur ein Unterauf¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/268>, abgerufen am 25.11.2024.
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