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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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Auf meine Bitte, mich aufzuklären, sagte er
weiter: "Es scheint, daß Ihre Absicht ist,
eine fröhliche Botschaft den Armen und Nie¬
drigen zu verkündigen; das ist schön, und
diese Nachahmung des Herrn ist löblich; Sie
sollten aber dabey bedenken, daß er lieber bey
wohlhabenden und reichen Leuten zu Tische
saß, wo es gut her ging, und daß er selbst
den Wohlgeruch des Balsams nicht verschmäh¬
te, wovon Sie wohl bey mir das Gegentheil
finden könnten."

Dieser lustige Anfang setzte mich gleich in
guten Humor und wir neckten einander eine
ziemliche Weile herum. Die Frau stand be¬
denklich, wie sie einen solchen Gast unterbrin¬
gen und bewirthen solle? Auch hierüber hatte
er sehr artige Einfälle, die sich nicht allein
auf die Bibel, sondern auch auf Gottfrieds
Chronik bezogen, und als wir einig waren,
daß ich bleiben solle, so gab ich meinen Beu¬
tel, wie er war, der Wirthinn zum Aufhe¬

Auf meine Bitte, mich aufzuklaͤren, ſagte er
weiter: „Es ſcheint, daß Ihre Abſicht iſt,
eine froͤhliche Botſchaft den Armen und Nie¬
drigen zu verkuͤndigen; das iſt ſchoͤn, und
dieſe Nachahmung des Herrn iſt loͤblich; Sie
ſollten aber dabey bedenken, daß er lieber bey
wohlhabenden und reichen Leuten zu Tiſche
ſaß, wo es gut her ging, und daß er ſelbſt
den Wohlgeruch des Balſams nicht verſchmaͤh¬
te, wovon Sie wohl bey mir das Gegentheil
finden koͤnnten.“

Dieſer luſtige Anfang ſetzte mich gleich in
guten Humor und wir neckten einander eine
ziemliche Weile herum. Die Frau ſtand be¬
denklich, wie ſie einen ſolchen Gaſt unterbrin¬
gen und bewirthen ſolle? Auch hieruͤber hatte
er ſehr artige Einfaͤlle, die ſich nicht allein
auf die Bibel, ſondern auch auf Gottfrieds
Chronik bezogen, und als wir einig waren,
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[256/0264] Auf meine Bitte, mich aufzuklaͤren, ſagte er weiter: „Es ſcheint, daß Ihre Abſicht iſt, eine froͤhliche Botſchaft den Armen und Nie¬ drigen zu verkuͤndigen; das iſt ſchoͤn, und dieſe Nachahmung des Herrn iſt loͤblich; Sie ſollten aber dabey bedenken, daß er lieber bey wohlhabenden und reichen Leuten zu Tiſche ſaß, wo es gut her ging, und daß er ſelbſt den Wohlgeruch des Balſams nicht verſchmaͤh¬ te, wovon Sie wohl bey mir das Gegentheil finden koͤnnten.“ Dieſer luſtige Anfang ſetzte mich gleich in guten Humor und wir neckten einander eine ziemliche Weile herum. Die Frau ſtand be¬ denklich, wie ſie einen ſolchen Gaſt unterbrin¬ gen und bewirthen ſolle? Auch hieruͤber hatte er ſehr artige Einfaͤlle, die ſich nicht allein auf die Bibel, ſondern auch auf Gottfrieds Chronik bezogen, und als wir einig waren, daß ich bleiben ſolle, ſo gab ich meinen Beu¬ tel, wie er war, der Wirthinn zum Aufhe¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/264>, abgerufen am 27.11.2024.