halb der Grenze des Schönen halten, wenn dem redenden, der die Bedeutung jeder Art nicht entbehren kann, auch darüber hin¬ auszuschweifen vergönnt wäre. Jener arbeitet für den äußeren Sinn, der nur durch das Schöne befriedigt wird, dieser für die Einbil¬ dungskraft, die sich wohl mit dem Häßlichen noch abfinden mag. Wie vor einem Blitz er¬ leuchteten sich uns alle Folgen dieses herrli¬ chen Gedankens, alle bisherige anleitende und urtheilende Kritik ward, wie ein abgetragener Rock, weggeworfen, wir hielten uns von al¬ lem Uebel erlöst, und glaubten mit einigem Mitleid auf das sonst so herrliche sechszehnte Jahrhundert herabblicken zu dürfen, wo man in deutschen Bildwerken und Gedichten das Leben nur unter der Form eines schellenbehan¬ genen Narren, den Tod unter der Unform eines klappernden Gerippes, so wie die noth¬ wendigen und zufälligen Uebel der Welt un¬ ter dem Bilde des frazzenhaften Teufels zu vergegenwärtigen wußte.
halb der Grenze des Schoͤnen halten, wenn dem redenden, der die Bedeutung jeder Art nicht entbehren kann, auch daruͤber hin¬ auszuſchweifen vergoͤnnt waͤre. Jener arbeitet fuͤr den aͤußeren Sinn, der nur durch das Schoͤne befriedigt wird, dieſer fuͤr die Einbil¬ dungskraft, die ſich wohl mit dem Haͤßlichen noch abfinden mag. Wie vor einem Blitz er¬ leuchteten ſich uns alle Folgen dieſes herrli¬ chen Gedankens, alle bisherige anleitende und urtheilende Kritik ward, wie ein abgetragener Rock, weggeworfen, wir hielten uns von al¬ lem Uebel erloͤſt, und glaubten mit einigem Mitleid auf das ſonſt ſo herrliche ſechszehnte Jahrhundert herabblicken zu duͤrfen, wo man in deutſchen Bildwerken und Gedichten das Leben nur unter der Form eines ſchellenbehan¬ genen Narren, den Tod unter der Unform eines klappernden Gerippes, ſo wie die noth¬ wendigen und zufaͤlligen Uebel der Welt un¬ ter dem Bilde des frazzenhaften Teufels zu vergegenwaͤrtigen wußte.
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halb der Grenze des Schoͤnen halten, wenn
dem redenden, der die Bedeutung jeder Art
nicht entbehren kann, auch daruͤber hin¬
auszuſchweifen vergoͤnnt waͤre. Jener arbeitet
fuͤr den aͤußeren Sinn, der nur durch das
Schoͤne befriedigt wird, dieſer fuͤr die Einbil¬
dungskraft, die ſich wohl mit dem Haͤßlichen
noch abfinden mag. Wie vor einem Blitz er¬
leuchteten ſich uns alle Folgen dieſes herrli¬
chen Gedankens, alle bisherige anleitende und
urtheilende Kritik ward, wie ein abgetragener
Rock, weggeworfen, wir hielten uns von al¬
lem Uebel erloͤſt, und glaubten mit einigem
Mitleid auf das ſonſt ſo herrliche ſechszehnte
Jahrhundert herabblicken zu duͤrfen, wo man
in deutſchen Bildwerken und Gedichten das
Leben nur unter der Form eines ſchellenbehan¬
genen Narren, den Tod unter der Unform
eines klappernden Gerippes, ſo wie die noth¬
wendigen und zufaͤlligen Uebel der Welt un¬
ter dem Bilde des frazzenhaften Teufels zu
vergegenwaͤrtigen wußte.
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/257>, abgerufen am 22.11.2024.
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