und deswegen konnte das Stück auf dem deut¬ schen Theater keinen Eingang gewinnen, ob¬ gleich die Nachahmungen desselben, welche sich fern von jenen Klippen gehalten, mit Beyfall aufgenommen worden.
Beyde genannte Stücke jedoch sind, ohne daß ich mir dessen bewußt gewesen wäre, in ei¬ nem höheren Gesichtspunkt geschrieben. Sie deuten auf eine vorsichtige Duldung bey mora¬ lischer Zurechnung, und sprechen in etwas her¬ ben und derben Zügen jenes höchst christliche Wort spielend aus: wer sich ohne Sünde fühlt, der hebe den ersten Stein auf.
Ueber diesen Ernst, der meine ersten Stü¬ cke verdüsterte, beging ich den Fehler, sehr gün¬ stige Motive zu versäumen, welche ganz ent¬ schieden in meiner Natur lagen. Es entwickel¬ te sich nämlich unter jenen ernsten, für einen jungen Menschen fürchterlichen Erfahrungen in mir ein verwegner Humor, der sich dem
und deswegen konnte das Stuͤck auf dem deut¬ ſchen Theater keinen Eingang gewinnen, ob¬ gleich die Nachahmungen deſſelben, welche ſich fern von jenen Klippen gehalten, mit Beyfall aufgenommen worden.
Beyde genannte Stuͤcke jedoch ſind, ohne daß ich mir deſſen bewußt geweſen waͤre, in ei¬ nem hoͤheren Geſichtspunkt geſchrieben. Sie deuten auf eine vorſichtige Duldung bey mora¬ liſcher Zurechnung, und ſprechen in etwas her¬ ben und derben Zuͤgen jenes hoͤchſt chriſtliche Wort ſpielend aus: wer ſich ohne Suͤnde fuͤhlt, der hebe den erſten Stein auf.
Ueber dieſen Ernſt, der meine erſten Stuͤ¬ cke verduͤſterte, beging ich den Fehler, ſehr guͤn¬ ſtige Motive zu verſaͤumen, welche ganz ent¬ ſchieden in meiner Natur lagen. Es entwickel¬ te ſich naͤmlich unter jenen ernſten, fuͤr einen jungen Menſchen fuͤrchterlichen Erfahrungen in mir ein verwegner Humor, der ſich dem
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0181"n="173"/>
und deswegen konnte das Stuͤck auf dem deut¬<lb/>ſchen Theater keinen Eingang gewinnen, ob¬<lb/>
gleich die Nachahmungen deſſelben, welche ſich<lb/>
fern von jenen Klippen gehalten, mit Beyfall<lb/>
aufgenommen worden.</p><lb/><p>Beyde genannte Stuͤcke jedoch ſind, ohne<lb/>
daß ich mir deſſen bewußt geweſen waͤre, in ei¬<lb/>
nem hoͤheren Geſichtspunkt geſchrieben. Sie<lb/>
deuten auf eine vorſichtige Duldung bey mora¬<lb/>
liſcher Zurechnung, und ſprechen in etwas her¬<lb/>
ben und derben Zuͤgen jenes hoͤchſt chriſtliche<lb/>
Wort ſpielend aus: wer ſich ohne Suͤnde fuͤhlt,<lb/>
der hebe den erſten Stein auf.</p><lb/><p>Ueber dieſen Ernſt, der meine erſten Stuͤ¬<lb/>
cke verduͤſterte, beging ich den Fehler, ſehr guͤn¬<lb/>ſtige Motive zu verſaͤumen, welche ganz ent¬<lb/>ſchieden in meiner Natur lagen. Es entwickel¬<lb/>
te ſich naͤmlich unter jenen ernſten, fuͤr einen<lb/>
jungen Menſchen fuͤrchterlichen Erfahrungen<lb/>
in mir ein verwegner Humor, der ſich dem<lb/></p></div></body></text></TEI>
[173/0181]
und deswegen konnte das Stuͤck auf dem deut¬
ſchen Theater keinen Eingang gewinnen, ob¬
gleich die Nachahmungen deſſelben, welche ſich
fern von jenen Klippen gehalten, mit Beyfall
aufgenommen worden.
Beyde genannte Stuͤcke jedoch ſind, ohne
daß ich mir deſſen bewußt geweſen waͤre, in ei¬
nem hoͤheren Geſichtspunkt geſchrieben. Sie
deuten auf eine vorſichtige Duldung bey mora¬
liſcher Zurechnung, und ſprechen in etwas her¬
ben und derben Zuͤgen jenes hoͤchſt chriſtliche
Wort ſpielend aus: wer ſich ohne Suͤnde fuͤhlt,
der hebe den erſten Stein auf.
Ueber dieſen Ernſt, der meine erſten Stuͤ¬
cke verduͤſterte, beging ich den Fehler, ſehr guͤn¬
ſtige Motive zu verſaͤumen, welche ganz ent¬
ſchieden in meiner Natur lagen. Es entwickel¬
te ſich naͤmlich unter jenen ernſten, fuͤr einen
jungen Menſchen fuͤrchterlichen Erfahrungen
in mir ein verwegner Humor, der ſich dem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/181>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.