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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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Schon früher hatte ich in manchen Inter¬
vallen meine Unart deutlich genug wahrgenom¬
men. Das arme Kind dauerte mich wirklich,
wenn ich sie so ganz ohne Noth von mir ver¬
letzt sah. Ich stellte mir ihre Lage, die mei¬
nige und dagegen den zufriedenen Zustand ei¬
nes anderen Paares aus unserer Gesellschaft
so oft und so umständlich vor, daß ich end¬
lich nicht lassen konnte, diese Situation, zu ei¬
ner quälenden und belehrenden Buße, drama¬
tisch zu behandeln. Daraus entsprang die älte¬
ste meiner überbliebenen dramatischen Arbeiten,
das kleine Stück: die Laune des Verlieb¬
ten
, an dessen unschuldigem Wesen man zu¬
gleich den Drang einer siedenden Leidenschaft
gewahr wird.

Allein mich hatte eine tiefe, bedeutende,
drangvolle Welt schon früher angesprochen.
Bey meiner Geschichte mit Gretchen und an
den Folgen derselben hatte ich zeitig in die selt¬
samen Irrgänge geblickt, mit welchen die bür¬

Schon fruͤher hatte ich in manchen Inter¬
vallen meine Unart deutlich genug wahrgenom¬
men. Das arme Kind dauerte mich wirklich,
wenn ich ſie ſo ganz ohne Noth von mir ver¬
letzt ſah. Ich ſtellte mir ihre Lage, die mei¬
nige und dagegen den zufriedenen Zuſtand ei¬
nes anderen Paares aus unſerer Geſellſchaft
ſo oft und ſo umſtaͤndlich vor, daß ich end¬
lich nicht laſſen konnte, dieſe Situation, zu ei¬
ner quaͤlenden und belehrenden Buße, drama¬
tiſch zu behandeln. Daraus entſprang die aͤlte¬
ſte meiner uͤberbliebenen dramatiſchen Arbeiten,
das kleine Stuͤck: die Laune des Verlieb¬
ten
, an deſſen unſchuldigem Weſen man zu¬
gleich den Drang einer ſiedenden Leidenſchaft
gewahr wird.

Allein mich hatte eine tiefe, bedeutende,
drangvolle Welt ſchon fruͤher angeſprochen.
Bey meiner Geſchichte mit Gretchen und an
den Folgen derſelben hatte ich zeitig in die ſelt¬
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[170/0178] Schon fruͤher hatte ich in manchen Inter¬ vallen meine Unart deutlich genug wahrgenom¬ men. Das arme Kind dauerte mich wirklich, wenn ich ſie ſo ganz ohne Noth von mir ver¬ letzt ſah. Ich ſtellte mir ihre Lage, die mei¬ nige und dagegen den zufriedenen Zuſtand ei¬ nes anderen Paares aus unſerer Geſellſchaft ſo oft und ſo umſtaͤndlich vor, daß ich end¬ lich nicht laſſen konnte, dieſe Situation, zu ei¬ ner quaͤlenden und belehrenden Buße, drama¬ tiſch zu behandeln. Daraus entſprang die aͤlte¬ ſte meiner uͤberbliebenen dramatiſchen Arbeiten, das kleine Stuͤck: die Laune des Verlieb¬ ten, an deſſen unſchuldigem Weſen man zu¬ gleich den Drang einer ſiedenden Leidenſchaft gewahr wird. Allein mich hatte eine tiefe, bedeutende, drangvolle Welt ſchon fruͤher angeſprochen. Bey meiner Geſchichte mit Gretchen und an den Folgen derſelben hatte ich zeitig in die ſelt¬ ſamen Irrgaͤnge geblickt, mit welchen die buͤr¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/178>, abgerufen am 25.11.2024.