Gegenwart eines großen Heers begrüßen, ihr sämmtlicher Hof- und Kriegsstaat um sie her, wohlgehaltene Truppen, ein Scheinkrieg, Fe¬ ste aller Art; Beschäftigung genug für den äußeren Sinn und überfließender Stoff für schildernde und beschreibende Poesie.
Freylich hatte dieser Gegenstand einen in¬ neren Mangel; eben daß es nur Prunk und Schein war, aus dem keine That hervortre¬ ten konnte. Niemand, außer den Ersten, mach¬ te sich bemerkbar, und wenn es ja geschehen wäre, durfte der Dichter den Einen nicht her¬ vorheben, um Andere nicht zu verletzen. Er mußte den Hof- und Staatscalender zu Rathe ziehen, und die Zeichnung der Personen lief daher ziemlich trocken ab; ja schon die Zeit¬ genossen machten ihm den Vorwurf, er habe die Pferde besser geschildert als die Menschen. Sollte dieß aber nicht gerade zu seinem Lobe gereichen? daß er seine Kunst gleich da be¬ wies, wo sich ein Gegenstand für dieselbe
Gegenwart eines großen Heers begruͤßen, ihr ſaͤmmtlicher Hof- und Kriegsſtaat um ſie her, wohlgehaltene Truppen, ein Scheinkrieg, Fe¬ ſte aller Art; Beſchaͤftigung genug fuͤr den aͤußeren Sinn und uͤberfließender Stoff fuͤr ſchildernde und beſchreibende Poeſie.
Freylich hatte dieſer Gegenſtand einen in¬ neren Mangel; eben daß es nur Prunk und Schein war, aus dem keine That hervortre¬ ten konnte. Niemand, außer den Erſten, mach¬ te ſich bemerkbar, und wenn es ja geſchehen waͤre, durfte der Dichter den Einen nicht her¬ vorheben, um Andere nicht zu verletzen. Er mußte den Hof- und Staatscalender zu Rathe ziehen, und die Zeichnung der Perſonen lief daher ziemlich trocken ab; ja ſchon die Zeit¬ genoſſen machten ihm den Vorwurf, er habe die Pferde beſſer geſchildert als die Menſchen. Sollte dieß aber nicht gerade zu ſeinem Lobe gereichen? daß er ſeine Kunſt gleich da be¬ wies, wo ſich ein Gegenſtand fuͤr dieſelbe
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Gegenwart eines großen Heers begruͤßen, ihr
ſaͤmmtlicher Hof- und Kriegsſtaat um ſie her,
wohlgehaltene Truppen, ein Scheinkrieg, Fe¬
ſte aller Art; Beſchaͤftigung genug fuͤr den
aͤußeren Sinn und uͤberfließender Stoff fuͤr
ſchildernde und beſchreibende Poeſie.
Freylich hatte dieſer Gegenſtand einen in¬
neren Mangel; eben daß es nur Prunk und
Schein war, aus dem keine That hervortre¬
ten konnte. Niemand, außer den Erſten, mach¬
te ſich bemerkbar, und wenn es ja geſchehen
waͤre, durfte der Dichter den Einen nicht her¬
vorheben, um Andere nicht zu verletzen. Er
mußte den Hof- und Staatscalender zu Rathe
ziehen, und die Zeichnung der Perſonen lief
daher ziemlich trocken ab; ja ſchon die Zeit¬
genoſſen machten ihm den Vorwurf, er habe
die Pferde beſſer geſchildert als die Menſchen.
Sollte dieß aber nicht gerade zu ſeinem Lobe
gereichen? daß er ſeine Kunſt gleich da be¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/131>, abgerufen am 24.11.2024.
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