hörte sie mir zwar einige Zeit mit Geduld zu, wenn ich ihr Verse oder Prose von nam¬ haften, schon in gutem Ansehen stehenden Dichtern zu recitiren mir herausnahm: denn ich behielt nach wie vor alles auswendig, was mir nur einigermaßen gefallen mochte; allein ihre Nachgiebigkeit war nicht von langer Dau¬ er. Das erste, was sie mir ganz entsetzlich herunter machte, waren die Poeten nach der Mode von Weiße, welche so eben mit großem Beyfall öfters wiederholt wurden, und mich ganz besonders ergetzt hatten. Be¬ sah ich nun freylich die Sache näher, so konn¬ te ich ihr nicht Unrecht geben. Auch einige¬ mal hatte ich gewagt, ihr etwas von meinen eigenen Gedichten, jedoch anonym vorzutra¬ gen, denen es denn nicht besser ging als der übrigen Gesellschaft. Und so waren mir in kurzer Zeit die schönen bunten Wiesen in den Gründen des deutschen Parnasses, wo ich so gern lustwandelte, unbarmherzig niedergemäht und ich sogar genöthigt, das trocknende Heu
hoͤrte ſie mir zwar einige Zeit mit Geduld zu, wenn ich ihr Verſe oder Proſe von nam¬ haften, ſchon in gutem Anſehen ſtehenden Dichtern zu recitiren mir herausnahm: denn ich behielt nach wie vor alles auswendig, was mir nur einigermaßen gefallen mochte; allein ihre Nachgiebigkeit war nicht von langer Dau¬ er. Das erſte, was ſie mir ganz entſetzlich herunter machte, waren die Poeten nach der Mode von Weiße, welche ſo eben mit großem Beyfall oͤfters wiederholt wurden, und mich ganz beſonders ergetzt hatten. Be¬ ſah ich nun freylich die Sache naͤher, ſo konn¬ te ich ihr nicht Unrecht geben. Auch einige¬ mal hatte ich gewagt, ihr etwas von meinen eigenen Gedichten, jedoch anonym vorzutra¬ gen, denen es denn nicht beſſer ging als der uͤbrigen Geſellſchaft. Und ſo waren mir in kurzer Zeit die ſchoͤnen bunten Wieſen in den Gruͤnden des deutſchen Parnaſſes, wo ich ſo gern luſtwandelte, unbarmherzig niedergemaͤht und ich ſogar genoͤthigt, das trocknende Heu
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hoͤrte ſie mir zwar einige Zeit mit Geduld zu,
wenn ich ihr Verſe oder Proſe von nam¬
haften, ſchon in gutem Anſehen ſtehenden
Dichtern zu recitiren mir herausnahm: denn
ich behielt nach wie vor alles auswendig, was
mir nur einigermaßen gefallen mochte; allein
ihre Nachgiebigkeit war nicht von langer Dau¬
er. Das erſte, was ſie mir ganz entſetzlich
herunter machte, waren die Poeten nach
der Mode von Weiße, welche ſo eben
mit großem Beyfall oͤfters wiederholt wurden,
und mich ganz beſonders ergetzt hatten. Be¬
ſah ich nun freylich die Sache naͤher, ſo konn¬
te ich ihr nicht Unrecht geben. Auch einige¬
mal hatte ich gewagt, ihr etwas von meinen
eigenen Gedichten, jedoch anonym vorzutra¬
gen, denen es denn nicht beſſer ging als der
uͤbrigen Geſellſchaft. Und ſo waren mir in
kurzer Zeit die ſchoͤnen bunten Wieſen in den
Gruͤnden des deutſchen Parnaſſes, wo ich ſo
gern luſtwandelte, unbarmherzig niedergemaͤht
und ich ſogar genoͤthigt, das trocknende Heu
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/104>, abgerufen am 24.11.2024.
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