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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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andern Morgen durch den Gerichtsboten an¬
gesagt. Weil diesem nun das Licht in der
Laterne verlöschen wollte, so erbat er sich ein
Stümpfchen, um seinen Weg weiter fortsetzen
zu können. "Gebt ihm ein ganzes, sagte
der Großvater zu den Frauen: er hat ja
doch die Mühe um meinetwillen." Dieser
Aeußerung entsprach auch der Erfolg: er wur¬
de wirklich Schultheiß; wobey der Umstand
noch besonders merkwürdig war, daß, ob¬
gleich sein Repräsentant bey der Kugelung
an der dritten und letzten Stelle zu ziehen
hatte, die zwey silbernen Kugeln zuerst her¬
aus kamen, und also die goldne für ihn auf
dem Grunde des Beutels liegen blieb.

Völlig prosaisch, einfach und ohne Spur
von Phantastischem oder Wundersamem wa¬
ren auch die übrigen der uns bekannt geword¬
nen Träume. Ferner erinnere ich mich, daß
ich als Knabe unter seinen Büchern und
Schreibcalendern gestört, und darin unter

andern Morgen durch den Gerichtsboten an¬
geſagt. Weil dieſem nun das Licht in der
Laterne verloͤſchen wollte, ſo erbat er ſich ein
Stuͤmpfchen, um ſeinen Weg weiter fortſetzen
zu koͤnnen. „Gebt ihm ein ganzes, ſagte
der Großvater zu den Frauen: er hat ja
doch die Muͤhe um meinetwillen.“ Dieſer
Aeußerung entſprach auch der Erfolg: er wur¬
de wirklich Schultheiß; wobey der Umſtand
noch beſonders merkwuͤrdig war, daß, ob¬
gleich ſein Repraͤſentant bey der Kugelung
an der dritten und letzten Stelle zu ziehen
hatte, die zwey ſilbernen Kugeln zuerſt her¬
aus kamen, und alſo die goldne fuͤr ihn auf
dem Grunde des Beutels liegen blieb.

Voͤllig proſaiſch, einfach und ohne Spur
von Phantaſtiſchem oder Wunderſamem wa¬
ren auch die uͤbrigen der uns bekannt geword¬
nen Traͤume. Ferner erinnere ich mich, daß
ich als Knabe unter ſeinen Buͤchern und
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[77/0093] andern Morgen durch den Gerichtsboten an¬ geſagt. Weil dieſem nun das Licht in der Laterne verloͤſchen wollte, ſo erbat er ſich ein Stuͤmpfchen, um ſeinen Weg weiter fortſetzen zu koͤnnen. „Gebt ihm ein ganzes, ſagte der Großvater zu den Frauen: er hat ja doch die Muͤhe um meinetwillen.“ Dieſer Aeußerung entſprach auch der Erfolg: er wur¬ de wirklich Schultheiß; wobey der Umſtand noch beſonders merkwuͤrdig war, daß, ob¬ gleich ſein Repraͤſentant bey der Kugelung an der dritten und letzten Stelle zu ziehen hatte, die zwey ſilbernen Kugeln zuerſt her¬ aus kamen, und alſo die goldne fuͤr ihn auf dem Grunde des Beutels liegen blieb. Voͤllig proſaiſch, einfach und ohne Spur von Phantaſtiſchem oder Wunderſamem wa¬ ren auch die uͤbrigen der uns bekannt geword¬ nen Traͤume. Ferner erinnere ich mich, daß ich als Knabe unter ſeinen Buͤchern und Schreibcalendern geſtoͤrt, und darin unter

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/93>, abgerufen am 18.12.2024.