Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

eine mittlere Person zwischen Alcinous und
Laertes hätte vorstellen können.

Alle diese Gartenarbeiten betrieb er eben so
regelmäßig und genau als seine Amtsgeschäfte:
denn eh er herunterkam, hatte er immer die
Registrande seiner Proponenden für den an¬
dern Tag in Ordnung gebracht und die
Acten gelesen. Eben so fuhr er Morgens
aufs Rathhaus, speiste nach seiner Rückkehr,
nickte hierauf in seinem Großstuhl, und so
ging alles einen Tag wie den andern. Er
sprach wenig, zeigte keine Spur von Heftig¬
keit; ich erinnere mich nicht, ihn zornig ge¬
sehen zu haben. Alles was ihn umgab, war
alterthümlich. In seiner getäfelten Stube
habe ich niemals irgend eine Neuerung wahr¬
genommen. Seine Bibliothek enthielt außer
juristischen Werken nur die ersten Reisebeschrei¬
bungen, Seefahrten und Länder-Entdeckungen.
Ueberhaupt erinnere ich mich keines Zustandes,
der so wie dieser das Gefühl eines unver¬

eine mittlere Perſon zwiſchen Alcinous und
Laertes haͤtte vorſtellen koͤnnen.

Alle dieſe Gartenarbeiten betrieb er eben ſo
regelmaͤßig und genau als ſeine Amtsgeſchaͤfte:
denn eh er herunterkam, hatte er immer die
Regiſtrande ſeiner Proponenden fuͤr den an¬
dern Tag in Ordnung gebracht und die
Acten geleſen. Eben ſo fuhr er Morgens
aufs Rathhaus, ſpeiſte nach ſeiner Ruͤckkehr,
nickte hierauf in ſeinem Großſtuhl, und ſo
ging alles einen Tag wie den andern. Er
ſprach wenig, zeigte keine Spur von Heftig¬
keit; ich erinnere mich nicht, ihn zornig ge¬
ſehen zu haben. Alles was ihn umgab, war
alterthuͤmlich. In ſeiner getaͤfelten Stube
habe ich niemals irgend eine Neuerung wahr¬
genommen. Seine Bibliothek enthielt außer
juriſtiſchen Werken nur die erſten Reiſebeſchrei¬
bungen, Seefahrten und Laͤnder-Entdeckungen.
Ueberhaupt erinnere ich mich keines Zuſtandes,
der ſo wie dieſer das Gefuͤhl eines unver¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0090" n="74"/>
eine mittlere Per&#x017F;on zwi&#x017F;chen Alcinous und<lb/>
Laertes ha&#x0364;tte vor&#x017F;tellen ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
      <p>Alle die&#x017F;e Gartenarbeiten betrieb er eben &#x017F;o<lb/>
regelma&#x0364;ßig und genau als &#x017F;eine Amtsge&#x017F;cha&#x0364;fte:<lb/>
denn eh er herunterkam, hatte er immer die<lb/>
Regi&#x017F;trande &#x017F;einer Proponenden fu&#x0364;r den an¬<lb/>
dern Tag in Ordnung gebracht und die<lb/>
Acten gele&#x017F;en. Eben &#x017F;o fuhr er Morgens<lb/>
aufs Rathhaus, &#x017F;pei&#x017F;te nach &#x017F;einer Ru&#x0364;ckkehr,<lb/>
nickte hierauf in &#x017F;einem Groß&#x017F;tuhl, und &#x017F;o<lb/>
ging alles einen Tag wie den andern. Er<lb/>
&#x017F;prach wenig, zeigte keine Spur von Heftig¬<lb/>
keit; ich erinnere mich nicht, ihn zornig ge¬<lb/>
&#x017F;ehen zu haben. Alles was ihn umgab, war<lb/>
alterthu&#x0364;mlich. In &#x017F;einer geta&#x0364;felten Stube<lb/>
habe ich niemals irgend eine Neuerung wahr¬<lb/>
genommen. Seine Bibliothek enthielt außer<lb/>
juri&#x017F;ti&#x017F;chen Werken nur die er&#x017F;ten Rei&#x017F;ebe&#x017F;chrei¬<lb/>
bungen, Seefahrten und La&#x0364;nder-Entdeckungen.<lb/>
Ueberhaupt erinnere ich mich keines Zu&#x017F;tandes,<lb/>
der &#x017F;o wie die&#x017F;er das Gefu&#x0364;hl eines unver¬<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0090] eine mittlere Perſon zwiſchen Alcinous und Laertes haͤtte vorſtellen koͤnnen. Alle dieſe Gartenarbeiten betrieb er eben ſo regelmaͤßig und genau als ſeine Amtsgeſchaͤfte: denn eh er herunterkam, hatte er immer die Regiſtrande ſeiner Proponenden fuͤr den an¬ dern Tag in Ordnung gebracht und die Acten geleſen. Eben ſo fuhr er Morgens aufs Rathhaus, ſpeiſte nach ſeiner Ruͤckkehr, nickte hierauf in ſeinem Großſtuhl, und ſo ging alles einen Tag wie den andern. Er ſprach wenig, zeigte keine Spur von Heftig¬ keit; ich erinnere mich nicht, ihn zornig ge¬ ſehen zu haben. Alles was ihn umgab, war alterthuͤmlich. In ſeiner getaͤfelten Stube habe ich niemals irgend eine Neuerung wahr¬ genommen. Seine Bibliothek enthielt außer juriſtiſchen Werken nur die erſten Reiſebeſchrei¬ bungen, Seefahrten und Laͤnder-Entdeckungen. Ueberhaupt erinnere ich mich keines Zuſtandes, der ſo wie dieſer das Gefuͤhl eines unver¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/90
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/90>, abgerufen am 22.11.2024.