zuhelfen wissen; aber jene, jene, rief ich aus, wer wird ihnen beystehn!" -- Meine Schwe¬ ster suchte mich umständlich mit dem Argu¬ mente zu trösten, daß wenn man die Vorneh¬ meren retten wolle, man auch über die Fehler der Geringern einen Schleyer werfen müsse. Das alles half nichts. Sie war kaum weg¬ gegangen, als ich mich wieder meinem Schmerz überließ, und sowohl die Bilder meiner Nei¬ gung und Leidenschaft als auch des gegenwär¬ tigen und möglichen Unglücks immer wechsels¬ weise hervorrief. Ich erzählte mir Mährchen auf Mährchen, sah nur Unglück auf Unglück, und ließ es besonders daran nicht fehlen, Gretchen und mich recht elend zu machen.
Der Hausfreund hatte mir geboten auf meinem Zimmer zu bleiben und mit Niemand mein Geschäft zu pflegen, außer den Unsri¬ gen. Es war mir ganz recht, denn ich befand mich am liebsten allein. Meine Mutter und Schwester besuchten mich von Zeit zu Zeit,
zuhelfen wiſſen; aber jene, jene, rief ich aus, wer wird ihnen beyſtehn!“ — Meine Schwe¬ ſter ſuchte mich umſtaͤndlich mit dem Argu¬ mente zu troͤſten, daß wenn man die Vorneh¬ meren retten wolle, man auch uͤber die Fehler der Geringern einen Schleyer werfen muͤſſe. Das alles half nichts. Sie war kaum weg¬ gegangen, als ich mich wieder meinem Schmerz uͤberließ, und ſowohl die Bilder meiner Nei¬ gung und Leidenſchaft als auch des gegenwaͤr¬ tigen und moͤglichen Ungluͤcks immer wechſels¬ weiſe hervorrief. Ich erzaͤhlte mir Maͤhrchen auf Maͤhrchen, ſah nur Ungluͤck auf Ungluͤck, und ließ es beſonders daran nicht fehlen, Gretchen und mich recht elend zu machen.
Der Hausfreund hatte mir geboten auf meinem Zimmer zu bleiben und mit Niemand mein Geſchaͤft zu pflegen, außer den Unſri¬ gen. Es war mir ganz recht, denn ich befand mich am liebſten allein. Meine Mutter und Schweſter beſuchten mich von Zeit zu Zeit,
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zuhelfen wiſſen; aber jene, jene, rief ich aus,
wer wird ihnen beyſtehn!“ — Meine Schwe¬
ſter ſuchte mich umſtaͤndlich mit dem Argu¬
mente zu troͤſten, daß wenn man die Vorneh¬
meren retten wolle, man auch uͤber die Fehler
der Geringern einen Schleyer werfen muͤſſe.
Das alles half nichts. Sie war kaum weg¬
gegangen, als ich mich wieder meinem Schmerz
uͤberließ, und ſowohl die Bilder meiner Nei¬
gung und Leidenſchaft als auch des gegenwaͤr¬
tigen und moͤglichen Ungluͤcks immer wechſels¬
weiſe hervorrief. Ich erzaͤhlte mir Maͤhrchen
auf Maͤhrchen, ſah nur Ungluͤck auf Ungluͤck,
und ließ es beſonders daran nicht fehlen,
Gretchen und mich recht elend zu machen.
Der Hausfreund hatte mir geboten auf
meinem Zimmer zu bleiben und mit Niemand
mein Geſchaͤft zu pflegen, außer den Unſri¬
gen. Es war mir ganz recht, denn ich befand
mich am liebſten allein. Meine Mutter und
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 510. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/526>, abgerufen am 26.11.2024.
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