ten brauche: denn ich sey unschuldig, von gutem Hause und wohl empfohlen; aber jene könnten eben so unschuldig seyn, ohne daß man sie da¬ für anerkenne oder sonst begünstige. Ich er¬ klärte zugleich, daß wenn man jene nicht wie mich schonen, ihren Thorheiten nachsehen, und ihre Fehler verzeihen wolle, wenn ihnen nur im mindesten hart und unrecht geschehe, so würde ich mir ein Leids anthun, und daran solle mich Niemand hindern. Auch hierüber suchte mich der Freund zu beruhigen; aber ich traute ihm nicht, und war, als er mich zu¬ letzt verließ, in der entsetzlichsten Lage. Ich machte mir nun doch Vorwürfe, die Sache erzählt und alle die Verhältnisse ans Licht ge¬ bracht zu haben. Ich sah voraus, daß man die kindlichen Handlungen, die jugendlichen Neigungen und Vertraulichkeiten ganz anders auslegen würde, und daß ich vielleicht den guten Pylades mit in diesen Handel verwi¬ ckeln und sehr unglücklich machen könnte. Alle diese Vorstellungen drängten sich lebhaft
ten brauche: denn ich ſey unſchuldig, von gutem Hauſe und wohl empfohlen; aber jene koͤnnten eben ſo unſchuldig ſeyn, ohne daß man ſie da¬ fuͤr anerkenne oder ſonſt beguͤnſtige. Ich er¬ klaͤrte zugleich, daß wenn man jene nicht wie mich ſchonen, ihren Thorheiten nachſehen, und ihre Fehler verzeihen wolle, wenn ihnen nur im mindeſten hart und unrecht geſchehe, ſo wuͤrde ich mir ein Leids anthun, und daran ſolle mich Niemand hindern. Auch hieruͤber ſuchte mich der Freund zu beruhigen; aber ich traute ihm nicht, und war, als er mich zu¬ letzt verließ, in der entſetzlichſten Lage. Ich machte mir nun doch Vorwuͤrfe, die Sache erzaͤhlt und alle die Verhaͤltniſſe ans Licht ge¬ bracht zu haben. Ich ſah voraus, daß man die kindlichen Handlungen, die jugendlichen Neigungen und Vertraulichkeiten ganz anders auslegen wuͤrde, und daß ich vielleicht den guten Pylades mit in dieſen Handel verwi¬ ckeln und ſehr ungluͤcklich machen koͤnnte. Alle dieſe Vorſtellungen draͤngten ſich lebhaft
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0524"n="508"/>
ten brauche: denn ich ſey unſchuldig, von gutem<lb/>
Hauſe und wohl empfohlen; aber jene koͤnnten<lb/>
eben ſo unſchuldig ſeyn, ohne daß man ſie da¬<lb/>
fuͤr anerkenne oder ſonſt beguͤnſtige. Ich er¬<lb/>
klaͤrte zugleich, daß wenn man jene nicht wie<lb/>
mich ſchonen, ihren Thorheiten nachſehen, und<lb/>
ihre Fehler verzeihen wolle, wenn ihnen nur<lb/>
im mindeſten hart und unrecht geſchehe, ſo<lb/>
wuͤrde ich mir ein Leids anthun, und daran<lb/>ſolle mich Niemand hindern. Auch hieruͤber<lb/>ſuchte mich der Freund zu beruhigen; aber ich<lb/>
traute ihm nicht, und war, als er mich zu¬<lb/>
letzt verließ, in der entſetzlichſten Lage. Ich<lb/>
machte mir nun doch Vorwuͤrfe, die Sache<lb/>
erzaͤhlt und alle die Verhaͤltniſſe ans Licht ge¬<lb/>
bracht zu haben. Ich ſah voraus, daß man<lb/>
die kindlichen Handlungen, die jugendlichen<lb/>
Neigungen und Vertraulichkeiten ganz anders<lb/>
auslegen wuͤrde, und daß ich vielleicht den<lb/>
guten Pylades mit in dieſen Handel verwi¬<lb/>
ckeln und ſehr ungluͤcklich machen koͤnnte.<lb/>
Alle dieſe Vorſtellungen draͤngten ſich lebhaft<lb/></p></div></body></text></TEI>
[508/0524]
ten brauche: denn ich ſey unſchuldig, von gutem
Hauſe und wohl empfohlen; aber jene koͤnnten
eben ſo unſchuldig ſeyn, ohne daß man ſie da¬
fuͤr anerkenne oder ſonſt beguͤnſtige. Ich er¬
klaͤrte zugleich, daß wenn man jene nicht wie
mich ſchonen, ihren Thorheiten nachſehen, und
ihre Fehler verzeihen wolle, wenn ihnen nur
im mindeſten hart und unrecht geſchehe, ſo
wuͤrde ich mir ein Leids anthun, und daran
ſolle mich Niemand hindern. Auch hieruͤber
ſuchte mich der Freund zu beruhigen; aber ich
traute ihm nicht, und war, als er mich zu¬
letzt verließ, in der entſetzlichſten Lage. Ich
machte mir nun doch Vorwuͤrfe, die Sache
erzaͤhlt und alle die Verhaͤltniſſe ans Licht ge¬
bracht zu haben. Ich ſah voraus, daß man
die kindlichen Handlungen, die jugendlichen
Neigungen und Vertraulichkeiten ganz anders
auslegen wuͤrde, und daß ich vielleicht den
guten Pylades mit in dieſen Handel verwi¬
ckeln und ſehr ungluͤcklich machen koͤnnte.
Alle dieſe Vorſtellungen draͤngten ſich lebhaft
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 508. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/524>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.