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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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hof zum römischen Kaiser, indessen auf der
Bornheimer Heide das große Zelt, zum Em¬
pfang ihres Gemahls, errichtet ist. Dort fin¬
det sich von den geistlichen Churfürsten nur
Mainz allein, von den Abgeordneten der welt¬
lichen nur Sachsen, Böhmen und Hannover.
Der Einzug beginnt, und was ihm an Voll¬
ständigkeit und Pracht abgehen mag, ersetzt
reichlich die Gegenwart einer schönen Frau.
Sie steht auf dem Balcon des wohlgelegnen
Hauses und begrüßt mit Vivatruf und Hän¬
deklatschen ihren Gemahl; das Volk stimmt
ein, zum größten Enthusiasmus aufgeregt.
Da die Großen nun auch einmal Menschen
sind, so denkt sie der Bürger, wenn er sie
lieben will, als seines Gleichen, und das
kann er am füglichsten, wenn er sie als lie¬
bende Gatten, als zärtliche Aeltern, als an¬
hängliche Geschwister, als treue Freunde sich
vorstellen darf. Man hatte damals alles
Gute gewünscht und prophezeyt und heute sah
man es erfüllt an dem erstgebornen Sohne,

hof zum roͤmiſchen Kaiſer, indeſſen auf der
Bornheimer Heide das große Zelt, zum Em¬
pfang ihres Gemahls, errichtet iſt. Dort fin¬
det ſich von den geiſtlichen Churfuͤrſten nur
Mainz allein, von den Abgeordneten der welt¬
lichen nur Sachſen, Boͤhmen und Hannover.
Der Einzug beginnt, und was ihm an Voll¬
ſtaͤndigkeit und Pracht abgehen mag, erſetzt
reichlich die Gegenwart einer ſchoͤnen Frau.
Sie ſteht auf dem Balcon des wohlgelegnen
Hauſes und begruͤßt mit Vivatruf und Haͤn¬
deklatſchen ihren Gemahl; das Volk ſtimmt
ein, zum groͤßten Enthuſiasmus aufgeregt.
Da die Großen nun auch einmal Menſchen
ſind, ſo denkt ſie der Buͤrger, wenn er ſie
lieben will, als ſeines Gleichen, und das
kann er am fuͤglichſten, wenn er ſie als lie¬
bende Gatten, als zaͤrtliche Aeltern, als an¬
haͤngliche Geſchwiſter, als treue Freunde ſich
vorſtellen darf. Man hatte damals alles
Gute gewuͤnſcht und prophezeyt und heute ſah
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[462/0478] hof zum roͤmiſchen Kaiſer, indeſſen auf der Bornheimer Heide das große Zelt, zum Em¬ pfang ihres Gemahls, errichtet iſt. Dort fin¬ det ſich von den geiſtlichen Churfuͤrſten nur Mainz allein, von den Abgeordneten der welt¬ lichen nur Sachſen, Boͤhmen und Hannover. Der Einzug beginnt, und was ihm an Voll¬ ſtaͤndigkeit und Pracht abgehen mag, erſetzt reichlich die Gegenwart einer ſchoͤnen Frau. Sie ſteht auf dem Balcon des wohlgelegnen Hauſes und begruͤßt mit Vivatruf und Haͤn¬ deklatſchen ihren Gemahl; das Volk ſtimmt ein, zum groͤßten Enthuſiasmus aufgeregt. Da die Großen nun auch einmal Menſchen ſind, ſo denkt ſie der Buͤrger, wenn er ſie lieben will, als ſeines Gleichen, und das kann er am fuͤglichſten, wenn er ſie als lie¬ bende Gatten, als zaͤrtliche Aeltern, als an¬ haͤngliche Geſchwiſter, als treue Freunde ſich vorſtellen darf. Man hatte damals alles Gute gewuͤnſcht und prophezeyt und heute ſah man es erfuͤllt an dem erſtgebornen Sohne,

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/478>, abgerufen am 30.09.2024.