Chur-Kölln in Person angekommen. Am Vorabend des Wahltags werden alle Frem¬ den aus der Stadt gewiesen, die Thore sind geschlossen, die Juden in ihrer Gasse eingesperrt, und der Frankfurter Bürger dünkt sich nicht wenig, daß er allein Zeuge einer so großen Feyerlichkeit bleiben darf.
Bisher war alles noch ziemlich modern hergegangen: die höchsten und hohen Per¬ sonen bewegten sich nur in Kutschen hin und wieder; nun aber sollten wir sie, nach uralter Weise, zu Pferde sehen. Der Zulauf und das Gedränge war außerordentlich. Ich wußte mich in dem Römer, den ich wie eine Maus den heimischen Kornboden genau kannte, so lange herumzuschmiegen, bis ich an den Haupteingang gelangte, vor welchem die Churfürsten und Gesandten, die zuerst in Prachtkutschen herangefahren und sich oben versammlet hatten, nunmehr zu Pferde stei¬ gen sollten. Die stattlichsten, wohlzugeritte¬
Chur-Koͤlln in Perſon angekommen. Am Vorabend des Wahltags werden alle Frem¬ den aus der Stadt gewieſen, die Thore ſind geſchloſſen, die Juden in ihrer Gaſſe eingeſperrt, und der Frankfurter Buͤrger duͤnkt ſich nicht wenig, daß er allein Zeuge einer ſo großen Feyerlichkeit bleiben darf.
Bisher war alles noch ziemlich modern hergegangen: die hoͤchſten und hohen Per¬ ſonen bewegten ſich nur in Kutſchen hin und wieder; nun aber ſollten wir ſie, nach uralter Weiſe, zu Pferde ſehen. Der Zulauf und das Gedraͤnge war außerordentlich. Ich wußte mich in dem Roͤmer, den ich wie eine Maus den heimiſchen Kornboden genau kannte, ſo lange herumzuſchmiegen, bis ich an den Haupteingang gelangte, vor welchem die Churfuͤrſten und Geſandten, die zuerſt in Prachtkutſchen herangefahren und ſich oben verſammlet hatten, nunmehr zu Pferde ſtei¬ gen ſollten. Die ſtattlichſten, wohlzugeritte¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0463"n="447"/>
Chur-Koͤlln in Perſon angekommen. Am<lb/>
Vorabend des Wahltags werden alle Frem¬<lb/>
den aus der Stadt gewieſen, die Thore<lb/>ſind geſchloſſen, die Juden in ihrer Gaſſe<lb/>
eingeſperrt, und der Frankfurter Buͤrger duͤnkt<lb/>ſich nicht wenig, daß er allein Zeuge einer<lb/>ſo großen Feyerlichkeit bleiben darf.</p><lb/><p>Bisher war alles noch ziemlich modern<lb/>
hergegangen: die hoͤchſten und hohen Per¬<lb/>ſonen bewegten ſich nur in Kutſchen hin und<lb/>
wieder; nun aber ſollten wir ſie, nach uralter<lb/>
Weiſe, zu Pferde ſehen. Der Zulauf und<lb/>
das Gedraͤnge war außerordentlich. Ich<lb/>
wußte mich in dem Roͤmer, den ich wie<lb/>
eine Maus den heimiſchen Kornboden genau<lb/>
kannte, ſo lange herumzuſchmiegen, bis ich<lb/>
an den Haupteingang gelangte, vor welchem<lb/>
die Churfuͤrſten und Geſandten, die zuerſt<lb/>
in Prachtkutſchen herangefahren und ſich oben<lb/>
verſammlet hatten, nunmehr zu Pferde ſtei¬<lb/>
gen ſollten. Die ſtattlichſten, wohlzugeritte¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[447/0463]
Chur-Koͤlln in Perſon angekommen. Am
Vorabend des Wahltags werden alle Frem¬
den aus der Stadt gewieſen, die Thore
ſind geſchloſſen, die Juden in ihrer Gaſſe
eingeſperrt, und der Frankfurter Buͤrger duͤnkt
ſich nicht wenig, daß er allein Zeuge einer
ſo großen Feyerlichkeit bleiben darf.
Bisher war alles noch ziemlich modern
hergegangen: die hoͤchſten und hohen Per¬
ſonen bewegten ſich nur in Kutſchen hin und
wieder; nun aber ſollten wir ſie, nach uralter
Weiſe, zu Pferde ſehen. Der Zulauf und
das Gedraͤnge war außerordentlich. Ich
wußte mich in dem Roͤmer, den ich wie
eine Maus den heimiſchen Kornboden genau
kannte, ſo lange herumzuſchmiegen, bis ich
an den Haupteingang gelangte, vor welchem
die Churfuͤrſten und Geſandten, die zuerſt
in Prachtkutſchen herangefahren und ſich oben
verſammlet hatten, nunmehr zu Pferde ſtei¬
gen ſollten. Die ſtattlichſten, wohlzugeritte¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 447. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/463>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.