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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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nehmen. Weil ich nun sehr redselig war, wenn
man mich gewähren ließ; so erzählte ich alles
von Anfang an bis auf den heutigen Tag,
in der besten Ordnung, und versäumte nicht,
um meinen Vortrag anschaulicher zu machen,
mich des vorhandenen Griffels und der großen
Schiefer-Platte zu bedienen. Nur durch einige
Fragen und Rechthabereyen der andern wenig
gestört, brachte ich meinen Vortrag zu allge¬
meiner Zufriedenheit ans Ende, indem mich
Gretchen durch ihre fortgesetzte Aufmerksam¬
keit höchlich ermuntert hatte. Sie dankte
mir zuletzt und beneidete, nach ihrem Aus¬
druck, alle diejenigen, die von den Sachen
dieser Welt unterrichtet seyen und wüßten
wie dieses und jenes zugehe und was es zu
bedeuten habe. Sie wünschte sich ein Knabe
zu seyn, und wußte mit vieler Freundlichkeit
anzuerkennen, daß sie mir schon manche Be¬
lehrung schuldig geworden. "Wenn ich ein
Knabe wäre, sagte sie, so wollten wir auf
Universitäten zusammen etwas rechtes lernen."

nehmen. Weil ich nun ſehr redſelig war, wenn
man mich gewaͤhren ließ; ſo erzaͤhlte ich alles
von Anfang an bis auf den heutigen Tag,
in der beſten Ordnung, und verſaͤumte nicht,
um meinen Vortrag anſchaulicher zu machen,
mich des vorhandenen Griffels und der großen
Schiefer-Platte zu bedienen. Nur durch einige
Fragen und Rechthabereyen der andern wenig
geſtoͤrt, brachte ich meinen Vortrag zu allge¬
meiner Zufriedenheit ans Ende, indem mich
Gretchen durch ihre fortgeſetzte Aufmerkſam¬
keit hoͤchlich ermuntert hatte. Sie dankte
mir zuletzt und beneidete, nach ihrem Aus¬
druck, alle diejenigen, die von den Sachen
dieſer Welt unterrichtet ſeyen und wuͤßten
wie dieſes und jenes zugehe und was es zu
bedeuten habe. Sie wuͤnſchte ſich ein Knabe
zu ſeyn, und wußte mit vieler Freundlichkeit
anzuerkennen, daß ſie mir ſchon manche Be¬
lehrung ſchuldig geworden. „Wenn ich ein
Knabe waͤre, ſagte ſie, ſo wollten wir auf
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[443/0459] nehmen. Weil ich nun ſehr redſelig war, wenn man mich gewaͤhren ließ; ſo erzaͤhlte ich alles von Anfang an bis auf den heutigen Tag, in der beſten Ordnung, und verſaͤumte nicht, um meinen Vortrag anſchaulicher zu machen, mich des vorhandenen Griffels und der großen Schiefer-Platte zu bedienen. Nur durch einige Fragen und Rechthabereyen der andern wenig geſtoͤrt, brachte ich meinen Vortrag zu allge¬ meiner Zufriedenheit ans Ende, indem mich Gretchen durch ihre fortgeſetzte Aufmerkſam¬ keit hoͤchlich ermuntert hatte. Sie dankte mir zuletzt und beneidete, nach ihrem Aus¬ druck, alle diejenigen, die von den Sachen dieſer Welt unterrichtet ſeyen und wuͤßten wie dieſes und jenes zugehe und was es zu bedeuten habe. Sie wuͤnſchte ſich ein Knabe zu ſeyn, und wußte mit vieler Freundlichkeit anzuerkennen, daß ſie mir ſchon manche Be¬ lehrung ſchuldig geworden. „Wenn ich ein Knabe waͤre, ſagte ſie, ſo wollten wir auf Univerſitaͤten zuſammen etwas rechtes lernen.“

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/459>, abgerufen am 24.11.2024.