Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

weltliche Aeußerlichkeiten für ihn nicht den
mindesten Werth hatten, so mochte doch die¬
ser Zug mit seiner Pracht und allem Bey¬
wesen deutlich in seine sehr lebhafte Einbil¬
dungskraft sich eingedruckt haben: denn nach
mehreren Jahren, als mir dieser vorzügliche,
aber eigene Mann eine poetische Paraphrase,
ich glaube der Offenbarung Sanct Johannis,
mittheilte, fand ich den Einzug des Anti¬
christ Schritt vor Schritt, Gestalt vor Ge¬
stalt, Umstand vor Umstand, dem Einzug des
Churfürsten von Mainz in Frankfurt nachge¬
bildet, dergestalt daß sogar die Quasten an
den Köpfen der Isabell-Pferde nicht fehl¬
ten. Es wird sich mehr davon sagen lassen,
wenn ich zur Epoche jener wunderlichen Dich¬
tungsart gelange, durch welche man die alt-
und neutestamentlichen Mythen dem An¬
schauen und Gefühl näher zu bringen glaubte,
wenn man sie völlig ins Moderne travestirte,
und ihnen aus dem gegenwärtigen Leben, es
sey nun gemeiner oder vornehmer, ein Ge¬

weltliche Aeußerlichkeiten fuͤr ihn nicht den
mindeſten Werth hatten, ſo mochte doch die¬
ſer Zug mit ſeiner Pracht und allem Bey¬
weſen deutlich in ſeine ſehr lebhafte Einbil¬
dungskraft ſich eingedruckt haben: denn nach
mehreren Jahren, als mir dieſer vorzuͤgliche,
aber eigene Mann eine poetiſche Paraphraſe,
ich glaube der Offenbarung Sanct Johannis,
mittheilte, fand ich den Einzug des Anti¬
chriſt Schritt vor Schritt, Geſtalt vor Ge¬
ſtalt, Umſtand vor Umſtand, dem Einzug des
Churfuͤrſten von Mainz in Frankfurt nachge¬
bildet, dergeſtalt daß ſogar die Quaſten an
den Koͤpfen der Iſabell-Pferde nicht fehl¬
ten. Es wird ſich mehr davon ſagen laſſen,
wenn ich zur Epoche jener wunderlichen Dich¬
tungsart gelange, durch welche man die alt-
und neuteſtamentlichen Mythen dem An¬
ſchauen und Gefuͤhl naͤher zu bringen glaubte,
wenn man ſie voͤllig ins Moderne traveſtirte,
und ihnen aus dem gegenwaͤrtigen Leben, es
ſey nun gemeiner oder vornehmer, ein Ge¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0456" n="440"/>
weltliche Aeußerlichkeiten fu&#x0364;r ihn nicht den<lb/>
minde&#x017F;ten Werth hatten, &#x017F;o mochte doch die¬<lb/>
&#x017F;er Zug mit &#x017F;einer Pracht und allem Bey¬<lb/>
we&#x017F;en deutlich in &#x017F;eine &#x017F;ehr lebhafte Einbil¬<lb/>
dungskraft &#x017F;ich eingedruckt haben: denn nach<lb/>
mehreren Jahren, als mir die&#x017F;er vorzu&#x0364;gliche,<lb/>
aber eigene Mann eine poeti&#x017F;che Paraphra&#x017F;e,<lb/>
ich glaube der Offenbarung Sanct Johannis,<lb/>
mittheilte, fand ich den Einzug des Anti¬<lb/>
chri&#x017F;t Schritt vor Schritt, Ge&#x017F;talt vor Ge¬<lb/>
&#x017F;talt, Um&#x017F;tand vor Um&#x017F;tand, dem Einzug des<lb/>
Churfu&#x0364;r&#x017F;ten von Mainz in Frankfurt nachge¬<lb/>
bildet, derge&#x017F;talt daß &#x017F;ogar die Qua&#x017F;ten an<lb/>
den Ko&#x0364;pfen der I&#x017F;abell-Pferde nicht fehl¬<lb/>
ten. Es wird &#x017F;ich mehr davon &#x017F;agen la&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
wenn ich zur Epoche jener wunderlichen Dich¬<lb/>
tungsart gelange, durch welche man die alt-<lb/>
und neute&#x017F;tamentlichen Mythen dem An¬<lb/>
&#x017F;chauen und Gefu&#x0364;hl na&#x0364;her zu bringen glaubte,<lb/>
wenn man &#x017F;ie vo&#x0364;llig ins Moderne trave&#x017F;tirte,<lb/>
und ihnen aus dem gegenwa&#x0364;rtigen Leben, es<lb/>
&#x017F;ey nun gemeiner oder vornehmer, ein Ge¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[440/0456] weltliche Aeußerlichkeiten fuͤr ihn nicht den mindeſten Werth hatten, ſo mochte doch die¬ ſer Zug mit ſeiner Pracht und allem Bey¬ weſen deutlich in ſeine ſehr lebhafte Einbil¬ dungskraft ſich eingedruckt haben: denn nach mehreren Jahren, als mir dieſer vorzuͤgliche, aber eigene Mann eine poetiſche Paraphraſe, ich glaube der Offenbarung Sanct Johannis, mittheilte, fand ich den Einzug des Anti¬ chriſt Schritt vor Schritt, Geſtalt vor Ge¬ ſtalt, Umſtand vor Umſtand, dem Einzug des Churfuͤrſten von Mainz in Frankfurt nachge¬ bildet, dergeſtalt daß ſogar die Quaſten an den Koͤpfen der Iſabell-Pferde nicht fehl¬ ten. Es wird ſich mehr davon ſagen laſſen, wenn ich zur Epoche jener wunderlichen Dich¬ tungsart gelange, durch welche man die alt- und neuteſtamentlichen Mythen dem An¬ ſchauen und Gefuͤhl naͤher zu bringen glaubte, wenn man ſie voͤllig ins Moderne traveſtirte, und ihnen aus dem gegenwaͤrtigen Leben, es ſey nun gemeiner oder vornehmer, ein Ge¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/456
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/456>, abgerufen am 24.11.2024.