verschüttete deutsche Reich wieder für einen Augenblick lebendig darstellten; andrerseits aber konnte ich mir ein geheimes Misfallen nicht verbergen, wenn ich nun zu Hause dei innern Verhandlungen zum Behuf meines Vaters abschreiben und dabey bemerken mußte, daß hier mehrere Gewalten einander gegen¬ über standen, die sich das Gleichgewicht hiel¬ ten, und nur in sofern einig waren, als sie den neuen Regenten noch mehr als den alten zu beschränken gedachten; daß Jeder¬ mann sich nur in sofern seines Einflusses freute, als er seine Privilegien zu erhalten und zu erweitern, und seine Unabhängigkeit mehr zu sichern hoffte. Ja man war die߬ mal noch aufmerksamer als sonst, weil man sich vor Joseph dem zweyten, vor seiner Heftigkeit und seinen vermuthlichen Planen, zu fürchten anfing.
Bey meinem Großvater und den übrigen Rathsverwandten, deren Häuser ich zu besu¬
verſchuͤttete deutſche Reich wieder fuͤr einen Augenblick lebendig darſtellten; andrerſeits aber konnte ich mir ein geheimes Misfallen nicht verbergen, wenn ich nun zu Hauſe dei innern Verhandlungen zum Behuf meines Vaters abſchreiben und dabey bemerken mußte, daß hier mehrere Gewalten einander gegen¬ uͤber ſtanden, die ſich das Gleichgewicht hiel¬ ten, und nur in ſofern einig waren, als ſie den neuen Regenten noch mehr als den alten zu beſchraͤnken gedachten; daß Jeder¬ mann ſich nur in ſofern ſeines Einfluſſes freute, als er ſeine Privilegien zu erhalten und zu erweitern, und ſeine Unabhaͤngigkeit mehr zu ſichern hoffte. Ja man war die߬ mal noch aufmerkſamer als ſonſt, weil man ſich vor Joſeph dem zweyten, vor ſeiner Heftigkeit und ſeinen vermuthlichen Planen, zu fuͤrchten anfing.
Bey meinem Großvater und den uͤbrigen Rathsverwandten, deren Haͤuſer ich zu beſu¬
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[434/0450]
verſchuͤttete deutſche Reich wieder fuͤr einen
Augenblick lebendig darſtellten; andrerſeits
aber konnte ich mir ein geheimes Misfallen
nicht verbergen, wenn ich nun zu Hauſe dei
innern Verhandlungen zum Behuf meines
Vaters abſchreiben und dabey bemerken mußte,
daß hier mehrere Gewalten einander gegen¬
uͤber ſtanden, die ſich das Gleichgewicht hiel¬
ten, und nur in ſofern einig waren, als
ſie den neuen Regenten noch mehr als den
alten zu beſchraͤnken gedachten; daß Jeder¬
mann ſich nur in ſofern ſeines Einfluſſes
freute, als er ſeine Privilegien zu erhalten
und zu erweitern, und ſeine Unabhaͤngigkeit
mehr zu ſichern hoffte. Ja man war die߬
mal noch aufmerkſamer als ſonſt, weil man
ſich vor Joſeph dem zweyten, vor ſeiner
Heftigkeit und ſeinen vermuthlichen Planen,
zu fuͤrchten anfing.
Bey meinem Großvater und den uͤbrigen
Rathsverwandten, deren Haͤuſer ich zu beſu¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/450>, abgerufen am 24.11.2024.
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