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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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fing sie an und sagte: "Es ist unbillig, daß
Ihr unserm Freunde nicht vertrauet was in
diesen Tagen von uns beschlossen worden."
Sie fuhr darauf fort zu erzählen, daß nach
unsrer neulichen Unterhaltung, wo die Rede
war, wie ein Jeder sich in der Welt wolle
geltend machen, auch unter ihnen zur Sprache
gekommen, auf welche Art ein weibliches
Wesen seine Talente und Arbeiten steigern
und seine Zeit vortheilhaft anwenden könne.
Darauf habe der Vetter vorgeschlagen, sie
solle es bey einer Putzmacherinn versuchen,
die jetzt eben eine Gehülfinn brauche. Man
sey mit der Frau einig geworden, sie gehe
täglich so viele Stunden hin, werde gut
gelohnt; nur müsse sie dort, um des Anstands
willen, sich zu einem gewissen Anputz beque¬
men, den sie aber jederzeit zurücklasse, weil
er zu ihrem übrigen Leben und Wesen sich
gar nicht schicken wolle. Durch diese Erklä¬
rung war ich zwar beruhigt, nur wollte es
mir nicht recht gefallen, das hübsche Kind

fing ſie an und ſagte: „Es iſt unbillig, daß
Ihr unſerm Freunde nicht vertrauet was in
dieſen Tagen von uns beſchloſſen worden.“
Sie fuhr darauf fort zu erzaͤhlen, daß nach
unſrer neulichen Unterhaltung, wo die Rede
war, wie ein Jeder ſich in der Welt wolle
geltend machen, auch unter ihnen zur Sprache
gekommen, auf welche Art ein weibliches
Weſen ſeine Talente und Arbeiten ſteigern
und ſeine Zeit vortheilhaft anwenden koͤnne.
Darauf habe der Vetter vorgeſchlagen, ſie
ſolle es bey einer Putzmacherinn verſuchen,
die jetzt eben eine Gehuͤlfinn brauche. Man
ſey mit der Frau einig geworden, ſie gehe
taͤglich ſo viele Stunden hin, werde gut
gelohnt; nur muͤſſe ſie dort, um des Anſtands
willen, ſich zu einem gewiſſen Anputz beque¬
men, den ſie aber jederzeit zuruͤcklaſſe, weil
er zu ihrem uͤbrigen Leben und Weſen ſich
gar nicht ſchicken wolle. Durch dieſe Erklaͤ¬
rung war ich zwar beruhigt, nur wollte es
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[424/0440] fing ſie an und ſagte: „Es iſt unbillig, daß Ihr unſerm Freunde nicht vertrauet was in dieſen Tagen von uns beſchloſſen worden.“ Sie fuhr darauf fort zu erzaͤhlen, daß nach unſrer neulichen Unterhaltung, wo die Rede war, wie ein Jeder ſich in der Welt wolle geltend machen, auch unter ihnen zur Sprache gekommen, auf welche Art ein weibliches Weſen ſeine Talente und Arbeiten ſteigern und ſeine Zeit vortheilhaft anwenden koͤnne. Darauf habe der Vetter vorgeſchlagen, ſie ſolle es bey einer Putzmacherinn verſuchen, die jetzt eben eine Gehuͤlfinn brauche. Man ſey mit der Frau einig geworden, ſie gehe taͤglich ſo viele Stunden hin, werde gut gelohnt; nur muͤſſe ſie dort, um des Anſtands willen, ſich zu einem gewiſſen Anputz beque¬ men, den ſie aber jederzeit zuruͤcklaſſe, weil er zu ihrem uͤbrigen Leben und Weſen ſich gar nicht ſchicken wolle. Durch dieſe Erklaͤ¬ rung war ich zwar beruhigt, nur wollte es mir nicht recht gefallen, das huͤbſche Kind

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 424. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/440>, abgerufen am 27.07.2024.