Waren wir einmal im Römer, so misch¬ ten wir uns auch wohl in das Gedränge vor den burgemeisterlichen Audienzen. Aber grö¬ ßeren Reiz hatte alles, was sich auf Wahl und Krönung der Kaiser bezog. Wir wußten uns die Gunst der Schließer zu verschaffen, um die neue, heitre, in Fresko gemalte, sonst durch ein Gitter verschlossene Kaisertrep¬ pe hinaufsteigen zu dürfen. Das mit Pur¬ purtapeten und wunderlich verschnörkelten Gold¬ leisten verzierte Wahlzimmer flößte uns Ehr¬ furcht ein. Die Thürstücke, auf welchen klei¬ ne Kinder oder Genien mit dem kaiserlichen Ornat bekleidet, und belastet mit den Reichs¬ insignien, eine gar wunderliche Figur spielen, betrachteten wir mit großer Aufmerksamkeit, und hofften wohl auch noch einmal eine Krö¬ nung mit Augen zu erleben. Aus dem gro¬ ßen Kaisersaale konnte man uns nur mit sehr vieler Mühe wieder herausbringen, wenn es uns einmal geglückt war hineinzuschlüpfen; und wir hielten denjenigen für unsern wahr¬
Waren wir einmal im Roͤmer, ſo miſch¬ ten wir uns auch wohl in das Gedraͤnge vor den burgemeiſterlichen Audienzen. Aber groͤ¬ ßeren Reiz hatte alles, was ſich auf Wahl und Kroͤnung der Kaiſer bezog. Wir wußten uns die Gunſt der Schließer zu verſchaffen, um die neue, heitre, in Fresko gemalte, ſonſt durch ein Gitter verſchloſſene Kaiſertrep¬ pe hinaufſteigen zu duͤrfen. Das mit Pur¬ purtapeten und wunderlich verſchnoͤrkelten Gold¬ leiſten verzierte Wahlzimmer floͤßte uns Ehr¬ furcht ein. Die Thuͤrſtuͤcke, auf welchen klei¬ ne Kinder oder Genien mit dem kaiſerlichen Ornat bekleidet, und belaſtet mit den Reichs¬ inſignien, eine gar wunderliche Figur ſpielen, betrachteten wir mit großer Aufmerkſamkeit, und hofften wohl auch noch einmal eine Kroͤ¬ nung mit Augen zu erleben. Aus dem gro¬ ßen Kaiſerſaale konnte man uns nur mit ſehr vieler Muͤhe wieder herausbringen, wenn es uns einmal gegluͤckt war hineinzuſchluͤpfen; und wir hielten denjenigen fuͤr unſern wahr¬
<TEI><text><body><pbfacs="#f0043"n="27"/><p>Waren wir einmal im Roͤmer, ſo miſch¬<lb/>
ten wir uns auch wohl in das Gedraͤnge vor<lb/>
den burgemeiſterlichen Audienzen. Aber groͤ¬<lb/>
ßeren Reiz hatte alles, was ſich auf Wahl<lb/>
und Kroͤnung der Kaiſer bezog. Wir wußten<lb/>
uns die Gunſt der Schließer zu verſchaffen,<lb/>
um die neue, heitre, in Fresko gemalte,<lb/>ſonſt durch ein Gitter verſchloſſene Kaiſertrep¬<lb/>
pe hinaufſteigen zu duͤrfen. Das mit Pur¬<lb/>
purtapeten und wunderlich verſchnoͤrkelten Gold¬<lb/>
leiſten verzierte Wahlzimmer floͤßte uns Ehr¬<lb/>
furcht ein. Die Thuͤrſtuͤcke, auf welchen klei¬<lb/>
ne Kinder oder Genien mit dem kaiſerlichen<lb/>
Ornat bekleidet, und belaſtet mit den Reichs¬<lb/>
inſignien, eine gar wunderliche Figur ſpielen,<lb/>
betrachteten wir mit großer Aufmerkſamkeit,<lb/>
und hofften wohl auch noch einmal eine Kroͤ¬<lb/>
nung mit Augen zu erleben. Aus dem gro¬<lb/>
ßen Kaiſerſaale konnte man uns nur mit ſehr<lb/>
vieler Muͤhe wieder herausbringen, wenn<lb/>
es uns einmal gegluͤckt war hineinzuſchluͤpfen;<lb/>
und wir hielten denjenigen fuͤr unſern wahr¬<lb/></p></body></text></TEI>
[27/0043]
Waren wir einmal im Roͤmer, ſo miſch¬
ten wir uns auch wohl in das Gedraͤnge vor
den burgemeiſterlichen Audienzen. Aber groͤ¬
ßeren Reiz hatte alles, was ſich auf Wahl
und Kroͤnung der Kaiſer bezog. Wir wußten
uns die Gunſt der Schließer zu verſchaffen,
um die neue, heitre, in Fresko gemalte,
ſonſt durch ein Gitter verſchloſſene Kaiſertrep¬
pe hinaufſteigen zu duͤrfen. Das mit Pur¬
purtapeten und wunderlich verſchnoͤrkelten Gold¬
leiſten verzierte Wahlzimmer floͤßte uns Ehr¬
furcht ein. Die Thuͤrſtuͤcke, auf welchen klei¬
ne Kinder oder Genien mit dem kaiſerlichen
Ornat bekleidet, und belaſtet mit den Reichs¬
inſignien, eine gar wunderliche Figur ſpielen,
betrachteten wir mit großer Aufmerkſamkeit,
und hofften wohl auch noch einmal eine Kroͤ¬
nung mit Augen zu erleben. Aus dem gro¬
ßen Kaiſerſaale konnte man uns nur mit ſehr
vieler Muͤhe wieder herausbringen, wenn
es uns einmal gegluͤckt war hineinzuſchluͤpfen;
und wir hielten denjenigen fuͤr unſern wahr¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/43>, abgerufen am 09.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.