Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

einem gesetzten Tone; ich wünschte, es ginge
gar nicht. Sie sollten sich mit solchen Hän¬
deln nicht befassen." -- Sie stand vom
Spinnrecken auf, und zu mir an den Tisch
tretend, hielt sie mir mit viel Verstand
und Freundlichkeit eine Strafpredigt. "Die
Sache scheint ein unschuldiger Scherz; es ist
ein Scherz, aber nicht unschuldig. Ich habe
schon mehrere Fälle erlebt, wo unsere jungen
Leute wegen eines solchen Frevels in große
Verlegenheit kamen." -- Was soll ich aber
thun? versetzte ich: der Brief ist geschrieben,
und sie verlassen sich drauf, daß ich ihn um¬
ändern werde. -- "Glauben Sie mir, ver¬
setzte sie, und ändern ihn nicht um; ja, neh¬
men Sie ihn zurück, stecken Sie ihn ein,
gehen Sie fort und suchen die Sache durch
ihren Freund ins Gleiche zu bringen. Ich
will auch ein Wörtchen mit drein reden:
denn, sehen Sie, so ein armes Mädchen als
ich bin, und abhängig von diesen Verwand¬
ten, die zwar nichts Böses thun, aber doch

I. 26

einem geſetzten Tone; ich wuͤnſchte, es ginge
gar nicht. Sie ſollten ſich mit ſolchen Haͤn¬
deln nicht befaſſen.“ — Sie ſtand vom
Spinnrecken auf, und zu mir an den Tiſch
tretend, hielt ſie mir mit viel Verſtand
und Freundlichkeit eine Strafpredigt. „Die
Sache ſcheint ein unſchuldiger Scherz; es iſt
ein Scherz, aber nicht unſchuldig. Ich habe
ſchon mehrere Faͤlle erlebt, wo unſere jungen
Leute wegen eines ſolchen Frevels in große
Verlegenheit kamen.“ — Was ſoll ich aber
thun? verſetzte ich: der Brief iſt geſchrieben,
und ſie verlaſſen ſich drauf, daß ich ihn um¬
aͤndern werde. — „Glauben Sie mir, ver¬
ſetzte ſie, und aͤndern ihn nicht um; ja, neh¬
men Sie ihn zuruͤck, ſtecken Sie ihn ein,
gehen Sie fort und ſuchen die Sache durch
ihren Freund ins Gleiche zu bringen. Ich
will auch ein Woͤrtchen mit drein reden:
denn, ſehen Sie, ſo ein armes Maͤdchen als
ich bin, und abhaͤngig von dieſen Verwand¬
ten, die zwar nichts Boͤſes thun, aber doch

I. 26
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0417" n="401"/>
einem ge&#x017F;etzten Tone; ich wu&#x0364;n&#x017F;chte, es ginge<lb/>
gar nicht. Sie &#x017F;ollten &#x017F;ich mit &#x017F;olchen Ha&#x0364;<lb/>
deln nicht befa&#x017F;&#x017F;en.&#x201C; &#x2014; Sie &#x017F;tand vom<lb/>
Spinnrecken auf, und zu mir an den Ti&#x017F;ch<lb/>
tretend, hielt &#x017F;ie mir mit viel Ver&#x017F;tand<lb/>
und Freundlichkeit eine Strafpredigt. &#x201E;Die<lb/>
Sache &#x017F;cheint ein un&#x017F;chuldiger Scherz; es i&#x017F;t<lb/>
ein Scherz, aber nicht un&#x017F;chuldig. Ich habe<lb/>
&#x017F;chon mehrere Fa&#x0364;lle erlebt, wo un&#x017F;ere jungen<lb/>
Leute wegen eines &#x017F;olchen Frevels in große<lb/>
Verlegenheit kamen.&#x201C; &#x2014; Was &#x017F;oll ich aber<lb/>
thun? ver&#x017F;etzte ich: der Brief i&#x017F;t ge&#x017F;chrieben,<lb/>
und &#x017F;ie verla&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich drauf, daß ich ihn um¬<lb/>
a&#x0364;ndern werde. &#x2014; &#x201E;Glauben Sie mir, ver¬<lb/>
&#x017F;etzte &#x017F;ie, und a&#x0364;ndern ihn nicht um; ja, neh¬<lb/>
men Sie ihn zuru&#x0364;ck, &#x017F;tecken Sie ihn ein,<lb/>
gehen Sie fort und &#x017F;uchen die Sache durch<lb/>
ihren Freund ins Gleiche zu bringen. Ich<lb/>
will auch ein Wo&#x0364;rtchen mit drein reden:<lb/>
denn, &#x017F;ehen Sie, &#x017F;o ein armes Ma&#x0364;dchen als<lb/>
ich bin, und abha&#x0364;ngig von die&#x017F;en Verwand¬<lb/>
ten, die zwar nichts Bo&#x0364;&#x017F;es thun, aber doch<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">I. 26<lb/></fw></p>
        <p>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[401/0417] einem geſetzten Tone; ich wuͤnſchte, es ginge gar nicht. Sie ſollten ſich mit ſolchen Haͤn¬ deln nicht befaſſen.“ — Sie ſtand vom Spinnrecken auf, und zu mir an den Tiſch tretend, hielt ſie mir mit viel Verſtand und Freundlichkeit eine Strafpredigt. „Die Sache ſcheint ein unſchuldiger Scherz; es iſt ein Scherz, aber nicht unſchuldig. Ich habe ſchon mehrere Faͤlle erlebt, wo unſere jungen Leute wegen eines ſolchen Frevels in große Verlegenheit kamen.“ — Was ſoll ich aber thun? verſetzte ich: der Brief iſt geſchrieben, und ſie verlaſſen ſich drauf, daß ich ihn um¬ aͤndern werde. — „Glauben Sie mir, ver¬ ſetzte ſie, und aͤndern ihn nicht um; ja, neh¬ men Sie ihn zuruͤck, ſtecken Sie ihn ein, gehen Sie fort und ſuchen die Sache durch ihren Freund ins Gleiche zu bringen. Ich will auch ein Woͤrtchen mit drein reden: denn, ſehen Sie, ſo ein armes Maͤdchen als ich bin, und abhaͤngig von dieſen Verwand¬ ten, die zwar nichts Boͤſes thun, aber doch I. 26

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/417
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/417>, abgerufen am 02.09.2024.