sagte der Andre; es ist ja nur ein Katzen¬ sprung. -- "Warum nicht!" versetzte sie, nahm ein paar leere Flaschen vom Tisch und eilte fort. Ihre Gestalt war von der Rück¬ seite fast noch zierlicher. Das Häubchen saß so nett auf dem kleinen Kopfe, den ein schlanker Hals gar anmuthig mit Nacken und Schultern verband. Alles an ihr schien auserlesen, und man konnte der ganzen Ge¬ stalt um so ruhiger folgen, als die Aufmerk¬ samkeit nicht mehr durch die stillen treuen Augen und den lieblichen Mund allein ange¬ zogen und gefesselt wurde. Ich machte den Gesellen Vorwürfe, daß sie das Kind in der Nacht allein ausschickten; sie lachten mich aus, und ich war bald getröstet, als sie schon wiederkam: denn der Schenkwirth wohnte nur über die Straße. -- Setze dich dafür auch zu uns, sagte der eine. Sie that es, aber leider kam sie nicht neben mich. Sie trank ein Glas auf unsre Gesundheit und entfernte sich bald, indem sie uns rieth,
ſagte der Andre; es iſt ja nur ein Katzen¬ ſprung. — „Warum nicht!“ verſetzte ſie, nahm ein paar leere Flaſchen vom Tiſch und eilte fort. Ihre Geſtalt war von der Ruͤck¬ ſeite faſt noch zierlicher. Das Haͤubchen ſaß ſo nett auf dem kleinen Kopfe, den ein ſchlanker Hals gar anmuthig mit Nacken und Schultern verband. Alles an ihr ſchien auserleſen, und man konnte der ganzen Ge¬ ſtalt um ſo ruhiger folgen, als die Aufmerk¬ ſamkeit nicht mehr durch die ſtillen treuen Augen und den lieblichen Mund allein ange¬ zogen und gefeſſelt wurde. Ich machte den Geſellen Vorwuͤrfe, daß ſie das Kind in der Nacht allein ausſchickten; ſie lachten mich aus, und ich war bald getroͤſtet, als ſie ſchon wiederkam: denn der Schenkwirth wohnte nur uͤber die Straße. — Setze dich dafuͤr auch zu uns, ſagte der eine. Sie that es, aber leider kam ſie nicht neben mich. Sie trank ein Glas auf unſre Geſundheit und entfernte ſich bald, indem ſie uns rieth,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0412"n="396"/>ſagte der Andre; es iſt ja nur ein Katzen¬<lb/>ſprung. —„Warum nicht!“ verſetzte ſie,<lb/>
nahm ein paar leere Flaſchen vom Tiſch und<lb/>
eilte fort. Ihre Geſtalt war von der Ruͤck¬<lb/>ſeite faſt noch zierlicher. Das Haͤubchen ſaß<lb/>ſo nett auf dem kleinen Kopfe, den ein<lb/>ſchlanker Hals gar anmuthig mit Nacken<lb/>
und Schultern verband. Alles an ihr ſchien<lb/>
auserleſen, und man konnte der ganzen Ge¬<lb/>ſtalt um ſo ruhiger folgen, als die Aufmerk¬<lb/>ſamkeit nicht mehr durch die ſtillen treuen<lb/>
Augen und den lieblichen Mund allein ange¬<lb/>
zogen und gefeſſelt wurde. Ich machte den<lb/>
Geſellen Vorwuͤrfe, daß ſie das Kind in der<lb/>
Nacht allein ausſchickten; ſie lachten mich<lb/>
aus, und ich war bald getroͤſtet, als ſie<lb/>ſchon wiederkam: denn der Schenkwirth<lb/>
wohnte nur uͤber die Straße. — Setze dich<lb/>
dafuͤr auch zu uns, ſagte der eine. Sie that<lb/>
es, aber leider kam ſie nicht neben mich.<lb/>
Sie trank ein Glas auf unſre Geſundheit<lb/>
und entfernte ſich bald, indem ſie uns rieth,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[396/0412]
ſagte der Andre; es iſt ja nur ein Katzen¬
ſprung. — „Warum nicht!“ verſetzte ſie,
nahm ein paar leere Flaſchen vom Tiſch und
eilte fort. Ihre Geſtalt war von der Ruͤck¬
ſeite faſt noch zierlicher. Das Haͤubchen ſaß
ſo nett auf dem kleinen Kopfe, den ein
ſchlanker Hals gar anmuthig mit Nacken
und Schultern verband. Alles an ihr ſchien
auserleſen, und man konnte der ganzen Ge¬
ſtalt um ſo ruhiger folgen, als die Aufmerk¬
ſamkeit nicht mehr durch die ſtillen treuen
Augen und den lieblichen Mund allein ange¬
zogen und gefeſſelt wurde. Ich machte den
Geſellen Vorwuͤrfe, daß ſie das Kind in der
Nacht allein ausſchickten; ſie lachten mich
aus, und ich war bald getroͤſtet, als ſie
ſchon wiederkam: denn der Schenkwirth
wohnte nur uͤber die Straße. — Setze dich
dafuͤr auch zu uns, ſagte der eine. Sie that
es, aber leider kam ſie nicht neben mich.
Sie trank ein Glas auf unſre Geſundheit
und entfernte ſich bald, indem ſie uns rieth,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/412>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.