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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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Meine natürliche Gutmüthigkeit ließ mich
an einer solchen boshaften Verstellung wenig
Freude finden, und die Wiederholung dessel¬
ben Thema's eckelte mich bald an. Gewiß,
ich brachte einen verdrießlichen Abend hin,
wenn nicht eine unerwartete Erscheinung mich
wieder belebt hätte. Bey unserer Ankunft
stand bereits der Tisch reinlich und ordentlich
gedeckt, hinreichender Wein aufgestellt; wir
setzten uns und blieben allein, ohne Bedie¬
nung nöthig zu haben. Als es aber doch
zuletzt an Wein gebrach, rief einer nach
der Magd; allein statt derselben trat ein
Mädchen herein, von ungemeiner, und wenn
man sie in ihrer Umgebung sah, von un¬
glaublicher Schönheit. -- "Was verlangt
Ihr? sagte sie, nachdem sie auf eine freund¬
liche Weise guten Abend geboten: die Magd
ist krank und zu Bette. Kann ich Euch die¬
nen?" -- Es fehlt an Wein, sagte der eine.
Wenn du uns ein paar Flaschen holtest, so
wäre es sehr hübsch. -- Thu es, Gretchen,

Meine natuͤrliche Gutmuͤthigkeit ließ mich
an einer ſolchen boshaften Verſtellung wenig
Freude finden, und die Wiederholung deſſel¬
ben Thema's eckelte mich bald an. Gewiß,
ich brachte einen verdrießlichen Abend hin,
wenn nicht eine unerwartete Erſcheinung mich
wieder belebt haͤtte. Bey unſerer Ankunft
ſtand bereits der Tiſch reinlich und ordentlich
gedeckt, hinreichender Wein aufgeſtellt; wir
ſetzten uns und blieben allein, ohne Bedie¬
nung noͤthig zu haben. Als es aber doch
zuletzt an Wein gebrach, rief einer nach
der Magd; allein ſtatt derſelben trat ein
Maͤdchen herein, von ungemeiner, und wenn
man ſie in ihrer Umgebung ſah, von un¬
glaublicher Schoͤnheit. — „Was verlangt
Ihr? ſagte ſie, nachdem ſie auf eine freund¬
liche Weiſe guten Abend geboten: die Magd
iſt krank und zu Bette. Kann ich Euch die¬
nen?“ — Es fehlt an Wein, ſagte der eine.
Wenn du uns ein paar Flaſchen holteſt, ſo
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[395/0411] Meine natuͤrliche Gutmuͤthigkeit ließ mich an einer ſolchen boshaften Verſtellung wenig Freude finden, und die Wiederholung deſſel¬ ben Thema's eckelte mich bald an. Gewiß, ich brachte einen verdrießlichen Abend hin, wenn nicht eine unerwartete Erſcheinung mich wieder belebt haͤtte. Bey unſerer Ankunft ſtand bereits der Tiſch reinlich und ordentlich gedeckt, hinreichender Wein aufgeſtellt; wir ſetzten uns und blieben allein, ohne Bedie¬ nung noͤthig zu haben. Als es aber doch zuletzt an Wein gebrach, rief einer nach der Magd; allein ſtatt derſelben trat ein Maͤdchen herein, von ungemeiner, und wenn man ſie in ihrer Umgebung ſah, von un¬ glaublicher Schoͤnheit. — „Was verlangt Ihr? ſagte ſie, nachdem ſie auf eine freund¬ liche Weiſe guten Abend geboten: die Magd iſt krank und zu Bette. Kann ich Euch die¬ nen?“ — Es fehlt an Wein, ſagte der eine. Wenn du uns ein paar Flaſchen holteſt, ſo waͤre es ſehr huͤbſch. — Thu es, Gretchen,

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/411>, abgerufen am 01.09.2024.