und mir theilweise gefällige Bild umständlich durch, und wußte mich zu meiner Betrübniß vollkommen zu überzeugen. Auch hielt er die nachgebildete Maus für einen Mißgriff: denn, sagte er, solche Thiere haben für viele Men¬ schen etwas Schauderhaftes, und man sollte sie da nicht anbringen, wo man Gefallen erregen will. Ich hatte nun, wie es demje¬ nigen zu gehen pflegt, der sich von einem Vorurtheile geheilt sieht und sich viel klüger dünkt als er vorher gewesen, eine wahre Ver¬ achtung gegen dieß Kunstwerk, und stimmte dem Künstler völlig bey, als er eine andere Tafel von gleicher Größe verfertigen ließ, worauf er, nach dem Geschmack den er be¬ saß, ein besser geformtes Gefäß und einen kunstreicher geordneten Blumenstrauß an¬ brachte, auch die lebendigen kleinen Beywesen zierlich und erfreulich sowohl zu wählen als zu vertheilen wußte. Auch diese Tafel malte er mit der größten Sorgfalt, doch freylich
und mir theilweiſe gefaͤllige Bild umſtaͤndlich durch, und wußte mich zu meiner Betruͤbniß vollkommen zu uͤberzeugen. Auch hielt er die nachgebildete Maus fuͤr einen Mißgriff: denn, ſagte er, ſolche Thiere haben fuͤr viele Men¬ ſchen etwas Schauderhaftes, und man ſollte ſie da nicht anbringen, wo man Gefallen erregen will. Ich hatte nun, wie es demje¬ nigen zu gehen pflegt, der ſich von einem Vorurtheile geheilt ſieht und ſich viel kluͤger duͤnkt als er vorher geweſen, eine wahre Ver¬ achtung gegen dieß Kunſtwerk, und ſtimmte dem Kuͤnſtler voͤllig bey, als er eine andere Tafel von gleicher Groͤße verfertigen ließ, worauf er, nach dem Geſchmack den er be¬ ſaß, ein beſſer geformtes Gefaͤß und einen kunſtreicher geordneten Blumenſtrauß an¬ brachte, auch die lebendigen kleinen Beyweſen zierlich und erfreulich ſowohl zu waͤhlen als zu vertheilen wußte. Auch dieſe Tafel malte er mit der groͤßten Sorgfalt, doch freylich
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und mir theilweiſe gefaͤllige Bild umſtaͤndlich
durch, und wußte mich zu meiner Betruͤbniß
vollkommen zu uͤberzeugen. Auch hielt er die
nachgebildete Maus fuͤr einen Mißgriff: denn,
ſagte er, ſolche Thiere haben fuͤr viele Men¬
ſchen etwas Schauderhaftes, und man ſollte
ſie da nicht anbringen, wo man Gefallen
erregen will. Ich hatte nun, wie es demje¬
nigen zu gehen pflegt, der ſich von einem
Vorurtheile geheilt ſieht und ſich viel kluͤger
duͤnkt als er vorher geweſen, eine wahre Ver¬
achtung gegen dieß Kunſtwerk, und ſtimmte
dem Kuͤnſtler voͤllig bey, als er eine andere
Tafel von gleicher Groͤße verfertigen ließ,
worauf er, nach dem Geſchmack den er be¬
ſaß, ein beſſer geformtes Gefaͤß und einen
kunſtreicher geordneten Blumenſtrauß an¬
brachte, auch die lebendigen kleinen Beyweſen
zierlich und erfreulich ſowohl zu waͤhlen als
zu vertheilen wußte. Auch dieſe Tafel malte
er mit der groͤßten Sorgfalt, doch freylich
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/379>, abgerufen am 26.11.2024.
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