Grausamkeit der Juden gegen die Christen¬ kinder, die wir in Gottfrieds Chronik gräßlich abgebildet gesehen, düster vor dem jungen Gemüth. Und ob man gleich in der neuern Zeit besser von ihnen dachte, so zeugte doch das große Spott- und Schandgemälde, wel¬ ches unter dem Brückenthurm an einer Bo¬ gen-Wand, zu ihrem Unglimpf, noch ziemlich zu sehen war, außerordentlich gegen sie: denn es war nicht etwa durch einen Privatmuth¬ willen, sondern aus öffentlicher Anstalt ver¬ fertigt worden.
Indessen blieben sie doch das auserwählte Volk Gottes, und gingen, wie es nun mochte gekommen seyn, zum Andenken der ältesten Zeiten umher. Außerdem waren sie ja auch Menschen, thätig, gefällig, und selbst dem Eigensinn, womit sie an ihren Gebräuchen hingen, konnte man seine Achtung nicht ver¬ sagen. Ueberdieß waren die Mädchen hübsch, und mochten es wohl leiden, wenn ein Chri¬
Grauſamkeit der Juden gegen die Chriſten¬ kinder, die wir in Gottfrieds Chronik graͤßlich abgebildet geſehen, duͤſter vor dem jungen Gemuͤth. Und ob man gleich in der neuern Zeit beſſer von ihnen dachte, ſo zeugte doch das große Spott- und Schandgemaͤlde, wel¬ ches unter dem Bruͤckenthurm an einer Bo¬ gen-Wand, zu ihrem Unglimpf, noch ziemlich zu ſehen war, außerordentlich gegen ſie: denn es war nicht etwa durch einen Privatmuth¬ willen, ſondern aus oͤffentlicher Anſtalt ver¬ fertigt worden.
Indeſſen blieben ſie doch das auserwaͤhlte Volk Gottes, und gingen, wie es nun mochte gekommen ſeyn, zum Andenken der aͤlteſten Zeiten umher. Außerdem waren ſie ja auch Menſchen, thaͤtig, gefaͤllig, und ſelbſt dem Eigenſinn, womit ſie an ihren Gebraͤuchen hingen, konnte man ſeine Achtung nicht ver¬ ſagen. Ueberdieß waren die Maͤdchen huͤbſch, und mochten es wohl leiden, wenn ein Chri¬
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Grauſamkeit der Juden gegen die Chriſten¬
kinder, die wir in Gottfrieds Chronik graͤßlich
abgebildet geſehen, duͤſter vor dem jungen
Gemuͤth. Und ob man gleich in der neuern
Zeit beſſer von ihnen dachte, ſo zeugte doch
das große Spott- und Schandgemaͤlde, wel¬
ches unter dem Bruͤckenthurm an einer Bo¬
gen-Wand, zu ihrem Unglimpf, noch ziemlich
zu ſehen war, außerordentlich gegen ſie: denn
es war nicht etwa durch einen Privatmuth¬
willen, ſondern aus oͤffentlicher Anſtalt ver¬
fertigt worden.
Indeſſen blieben ſie doch das auserwaͤhlte
Volk Gottes, und gingen, wie es nun mochte
gekommen ſeyn, zum Andenken der aͤlteſten
Zeiten umher. Außerdem waren ſie ja auch
Menſchen, thaͤtig, gefaͤllig, und ſelbſt dem
Eigenſinn, womit ſie an ihren Gebraͤuchen
hingen, konnte man ſeine Achtung nicht ver¬
ſagen. Ueberdieß waren die Maͤdchen huͤbſch,
und mochten es wohl leiden, wenn ein Chri¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/367>, abgerufen am 27.11.2024.
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