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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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Raum, die Kälte, der Modergeruch, alles
zusammen war mir im höchsten Grade zuwi¬
der; und da der Stallmeister den andern,
weil sie ihn vielleicht durch Frühstücke und
sonstige Gaben, vielleicht auch durch ihre
Geschicklichkeit bestachen, immer die besten
Pferde, mir aber die schlechtesten zu reiten
gab, mich auch wohl warten ließ, und mich
wie es schien hintansetzte: so brachte ich die
allerverdrießlichsten Stunden über einem Ge¬
schäft hin, das eigentlich das lustigste von
der Welt seyn sollte. Ja der Eindruck von
jener Zeit, von jenen Zuständen ist mir so
lebhaft geblieben, daß, ob ich gleich nachher
leidenschaftlich und verwegen zu reiten gewohnt
war, auch Tage und Wochen lang kaum
vom Pferde kam, daß ich bedeckte Reitbah¬
nen sorgfältig vermied, und höchstens nur
wenig Augenblicke darin verweilte. Es kommt
übrigens der Fall oft genug vor, daß wenn
die Anfänge einer abgeschlossenen Kunst uns
überliefert werden sollen, dieses auf eine

Raum, die Kaͤlte, der Modergeruch, alles
zuſammen war mir im hoͤchſten Grade zuwi¬
der; und da der Stallmeiſter den andern,
weil ſie ihn vielleicht durch Fruͤhſtuͤcke und
ſonſtige Gaben, vielleicht auch durch ihre
Geſchicklichkeit beſtachen, immer die beſten
Pferde, mir aber die ſchlechteſten zu reiten
gab, mich auch wohl warten ließ, und mich
wie es ſchien hintanſetzte: ſo brachte ich die
allerverdrießlichſten Stunden uͤber einem Ge¬
ſchaͤft hin, das eigentlich das luſtigſte von
der Welt ſeyn ſollte. Ja der Eindruck von
jener Zeit, von jenen Zuſtaͤnden iſt mir ſo
lebhaft geblieben, daß, ob ich gleich nachher
leidenſchaftlich und verwegen zu reiten gewohnt
war, auch Tage und Wochen lang kaum
vom Pferde kam, daß ich bedeckte Reitbah¬
nen ſorgfaͤltig vermied, und hoͤchſtens nur
wenig Augenblicke darin verweilte. Es kommt
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die Anfaͤnge einer abgeſchloſſenen Kunſt uns
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[346/0362] Raum, die Kaͤlte, der Modergeruch, alles zuſammen war mir im hoͤchſten Grade zuwi¬ der; und da der Stallmeiſter den andern, weil ſie ihn vielleicht durch Fruͤhſtuͤcke und ſonſtige Gaben, vielleicht auch durch ihre Geſchicklichkeit beſtachen, immer die beſten Pferde, mir aber die ſchlechteſten zu reiten gab, mich auch wohl warten ließ, und mich wie es ſchien hintanſetzte: ſo brachte ich die allerverdrießlichſten Stunden uͤber einem Ge¬ ſchaͤft hin, das eigentlich das luſtigſte von der Welt ſeyn ſollte. Ja der Eindruck von jener Zeit, von jenen Zuſtaͤnden iſt mir ſo lebhaft geblieben, daß, ob ich gleich nachher leidenſchaftlich und verwegen zu reiten gewohnt war, auch Tage und Wochen lang kaum vom Pferde kam, daß ich bedeckte Reitbah¬ nen ſorgfaͤltig vermied, und hoͤchſtens nur wenig Augenblicke darin verweilte. Es kommt uͤbrigens der Fall oft genug vor, daß wenn die Anfaͤnge einer abgeſchloſſenen Kunſt uns uͤberliefert werden ſollen, dieſes auf eine

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/362>, abgerufen am 28.11.2024.