Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

Auch in diesem Glauben tritt Jakob sei¬
nen Zug an, und wenn er durch List und
Betrug unsere Neigung nicht erworben hat,
so gewinnt er sie durch die dauernde und un¬
verbrüchliche Liebe zu Rahel, um die er
selbst aus dem Stegreife wirbt, wie Eleasar
für seinen Vater um Rebecca geworben hatte.
In ihm sollte sich die Verheißung eines un¬
ermeßlichen Volkes zuerst vollkommen entfal¬
ten; er sollte viele Söhne um sich sehen,
aber auch durch sie und ihre Mütter manches
Herzeleid erleben.

Sieben Jahre dient er um die Geliebte,
ohne Ungeduld und ohne Wanken. Sein
Schwiegervater, ihm gleich an List, gesinnt
wie er, um jedes Mittel zum Zweck für
rechtmäßig zu halten, betriegt ihn, vergilt
ihm was er an seinem Bruder gethan: Ja¬
kob findet eine Gattinn, die er nicht liebt,
in seinen Armen. Zwar, um ihn zu besänf¬
tigen, giebt Laban nach kurzer Zeit ihm die

Auch in dieſem Glauben tritt Jakob ſei¬
nen Zug an, und wenn er durch Liſt und
Betrug unſere Neigung nicht erworben hat,
ſo gewinnt er ſie durch die dauernde und un¬
verbruͤchliche Liebe zu Rahel, um die er
ſelbſt aus dem Stegreife wirbt, wie Eleaſar
fuͤr ſeinen Vater um Rebecca geworben hatte.
In ihm ſollte ſich die Verheißung eines un¬
ermeßlichen Volkes zuerſt vollkommen entfal¬
ten; er ſollte viele Soͤhne um ſich ſehen,
aber auch durch ſie und ihre Muͤtter manches
Herzeleid erleben.

Sieben Jahre dient er um die Geliebte,
ohne Ungeduld und ohne Wanken. Sein
Schwiegervater, ihm gleich an Liſt, geſinnt
wie er, um jedes Mittel zum Zweck fuͤr
rechtmaͤßig zu halten, betriegt ihn, vergilt
ihm was er an ſeinem Bruder gethan: Ja¬
kob findet eine Gattinn, die er nicht liebt,
in ſeinen Armen. Zwar, um ihn zu beſaͤnf¬
tigen, giebt Laban nach kurzer Zeit ihm die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0340" n="324"/>
        <p>Auch in die&#x017F;em Glauben tritt Jakob &#x017F;ei¬<lb/>
nen Zug an, und wenn er durch Li&#x017F;t und<lb/>
Betrug un&#x017F;ere Neigung nicht erworben hat,<lb/>
&#x017F;o gewinnt er &#x017F;ie durch die dauernde und un¬<lb/>
verbru&#x0364;chliche Liebe zu Rahel, um die er<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t aus dem Stegreife wirbt, wie Elea&#x017F;ar<lb/>
fu&#x0364;r &#x017F;einen Vater um Rebecca geworben hatte.<lb/>
In ihm &#x017F;ollte &#x017F;ich die Verheißung eines un¬<lb/>
ermeßlichen Volkes zuer&#x017F;t vollkommen entfal¬<lb/>
ten; er &#x017F;ollte viele So&#x0364;hne um &#x017F;ich &#x017F;ehen,<lb/>
aber auch durch &#x017F;ie und ihre Mu&#x0364;tter manches<lb/>
Herzeleid erleben.</p><lb/>
        <p>Sieben Jahre dient er um die Geliebte,<lb/>
ohne Ungeduld und ohne Wanken. Sein<lb/>
Schwiegervater, ihm gleich an Li&#x017F;t, ge&#x017F;innt<lb/>
wie er, um jedes Mittel zum Zweck fu&#x0364;r<lb/>
rechtma&#x0364;ßig zu halten, betriegt ihn, vergilt<lb/>
ihm was er an &#x017F;einem Bruder gethan: Ja¬<lb/>
kob findet eine Gattinn, die er nicht liebt,<lb/>
in &#x017F;einen Armen. Zwar, um ihn zu be&#x017F;a&#x0364;nf¬<lb/>
tigen, giebt Laban nach kurzer Zeit ihm die<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[324/0340] Auch in dieſem Glauben tritt Jakob ſei¬ nen Zug an, und wenn er durch Liſt und Betrug unſere Neigung nicht erworben hat, ſo gewinnt er ſie durch die dauernde und un¬ verbruͤchliche Liebe zu Rahel, um die er ſelbſt aus dem Stegreife wirbt, wie Eleaſar fuͤr ſeinen Vater um Rebecca geworben hatte. In ihm ſollte ſich die Verheißung eines un¬ ermeßlichen Volkes zuerſt vollkommen entfal¬ ten; er ſollte viele Soͤhne um ſich ſehen, aber auch durch ſie und ihre Muͤtter manches Herzeleid erleben. Sieben Jahre dient er um die Geliebte, ohne Ungeduld und ohne Wanken. Sein Schwiegervater, ihm gleich an Liſt, geſinnt wie er, um jedes Mittel zum Zweck fuͤr rechtmaͤßig zu halten, betriegt ihn, vergilt ihm was er an ſeinem Bruder gethan: Ja¬ kob findet eine Gattinn, die er nicht liebt, in ſeinen Armen. Zwar, um ihn zu beſaͤnf¬ tigen, giebt Laban nach kurzer Zeit ihm die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/340
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/340>, abgerufen am 25.11.2024.