Siddim, das, wenn unsere Einbildungskraft kühn genug ist, dem Jordan einen unterir¬ dischen Ausfluß zu geben, um an der Stelle des gegenwärtigen Asphaltsees einen trocknen Boden zu gewinnen, uns als ein zweytes Paradies erscheinen kann und muß; um so mehr, weil die Bewohner und Umwohner desselben als Weichlinge und Frevler berüch¬ tigt, uns dadurch auf ein bequemes und üp¬ piges Leben schließen lassen. Lot wohnt un¬ ter ihnen, jedoch abgesondert.
Aber Hebron und der Hain Mamre er¬ scheinen uns als die wichtige Stätte, wo der Herr mit Abraham spricht und ihm alles Land verheißt, so weit sein Blick nur in vier Weltgegenden reichen mag. Aus diesen stil¬ len Bezirken, von diesen Hirtenvölkern, die mit den Himmlischen umgehen dürfen, sie als Gäste bewirthen und manche Zwiesprache mit ihnen halten, werden wir genöthigt den Blick abermals gegen Osten zu wenden, und
Siddim, das, wenn unſere Einbildungskraft kuͤhn genug iſt, dem Jordan einen unterir¬ diſchen Ausfluß zu geben, um an der Stelle des gegenwaͤrtigen Aſphaltſees einen trocknen Boden zu gewinnen, uns als ein zweytes Paradies erſcheinen kann und muß; um ſo mehr, weil die Bewohner und Umwohner deſſelben als Weichlinge und Frevler beruͤch¬ tigt, uns dadurch auf ein bequemes und uͤp¬ piges Leben ſchließen laſſen. Lot wohnt un¬ ter ihnen, jedoch abgeſondert.
Aber Hebron und der Hain Mamre er¬ ſcheinen uns als die wichtige Staͤtte, wo der Herr mit Abraham ſpricht und ihm alles Land verheißt, ſo weit ſein Blick nur in vier Weltgegenden reichen mag. Aus dieſen ſtil¬ len Bezirken, von dieſen Hirtenvoͤlkern, die mit den Himmliſchen umgehen duͤrfen, ſie als Gaͤſte bewirthen und manche Zwieſprache mit ihnen halten, werden wir genoͤthigt den Blick abermals gegen Oſten zu wenden, und
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0322"n="306"/>
Siddim, das, wenn unſere Einbildungskraft<lb/>
kuͤhn genug iſt, dem Jordan einen unterir¬<lb/>
diſchen Ausfluß zu geben, um an der Stelle<lb/>
des gegenwaͤrtigen Aſphaltſees einen trocknen<lb/>
Boden zu gewinnen, uns als ein zweytes<lb/>
Paradies erſcheinen kann und muß; um ſo<lb/>
mehr, weil die Bewohner und Umwohner<lb/>
deſſelben als Weichlinge und Frevler beruͤch¬<lb/>
tigt, uns dadurch auf ein bequemes und uͤp¬<lb/>
piges Leben ſchließen laſſen. Lot wohnt un¬<lb/>
ter ihnen, jedoch abgeſondert.</p><lb/><p>Aber Hebron und der Hain Mamre er¬<lb/>ſcheinen uns als die wichtige Staͤtte, wo der<lb/>
Herr mit Abraham ſpricht und ihm alles<lb/>
Land verheißt, ſo weit ſein Blick nur in vier<lb/>
Weltgegenden reichen mag. Aus dieſen ſtil¬<lb/>
len Bezirken, von dieſen Hirtenvoͤlkern, die<lb/>
mit den Himmliſchen umgehen duͤrfen, ſie<lb/>
als Gaͤſte bewirthen und manche Zwieſprache<lb/>
mit ihnen halten, werden wir genoͤthigt den<lb/>
Blick abermals gegen Oſten zu wenden, und<lb/></p></div></body></text></TEI>
[306/0322]
Siddim, das, wenn unſere Einbildungskraft
kuͤhn genug iſt, dem Jordan einen unterir¬
diſchen Ausfluß zu geben, um an der Stelle
des gegenwaͤrtigen Aſphaltſees einen trocknen
Boden zu gewinnen, uns als ein zweytes
Paradies erſcheinen kann und muß; um ſo
mehr, weil die Bewohner und Umwohner
deſſelben als Weichlinge und Frevler beruͤch¬
tigt, uns dadurch auf ein bequemes und uͤp¬
piges Leben ſchließen laſſen. Lot wohnt un¬
ter ihnen, jedoch abgeſondert.
Aber Hebron und der Hain Mamre er¬
ſcheinen uns als die wichtige Staͤtte, wo der
Herr mit Abraham ſpricht und ihm alles
Land verheißt, ſo weit ſein Blick nur in vier
Weltgegenden reichen mag. Aus dieſen ſtil¬
len Bezirken, von dieſen Hirtenvoͤlkern, die
mit den Himmliſchen umgehen duͤrfen, ſie
als Gaͤſte bewirthen und manche Zwieſprache
mit ihnen halten, werden wir genoͤthigt den
Blick abermals gegen Oſten zu wenden, und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/322>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.