Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

baren Geretteten lag. Zwey Flüsse von vie¬
ren, Euphrat und Tigris, flossen noch in ih¬
ren Betten. Der Name des ersten blieb;
den andern schien sein Lauf zu bezeichnen.
Genauere Spuren des Paradieses wären nach
einer so großen Umwälzung nicht zu fordern
gewesen. Das erneute Menschengeschlecht
ging von hier zum zweyten Mal aus; es
fand Gelegenheit sich auf alle Arten zu näh¬
ren und zu beschäftigen, am meisten aber
große Heerden zahmer Geschöpfe um sich zu
versammlen und mit ihnen nach allen Seiten
hinzuziehen.

Diese Lebensweise, so wie die Vermehrung
der Stämme, nöthigte die Völker bald sich
von einander zu entfernen. Sie konnten sich
sogleich nicht entschließen ihre Verwandte und
Freunde für immer fahren zu lassen; sie ka¬
men auf den Gedanken einen hohen Thurm
zu bauen, der ihnen aus weiter Ferne den
Weg wieder zurück weisen sollte. Aber dieser

baren Geretteten lag. Zwey Fluͤſſe von vie¬
ren, Euphrat und Tigris, floſſen noch in ih¬
ren Betten. Der Name des erſten blieb;
den andern ſchien ſein Lauf zu bezeichnen.
Genauere Spuren des Paradieſes waͤren nach
einer ſo großen Umwaͤlzung nicht zu fordern
geweſen. Das erneute Menſchengeſchlecht
ging von hier zum zweyten Mal aus; es
fand Gelegenheit ſich auf alle Arten zu naͤh¬
ren und zu beſchaͤftigen, am meiſten aber
große Heerden zahmer Geſchoͤpfe um ſich zu
verſammlen und mit ihnen nach allen Seiten
hinzuziehen.

Dieſe Lebensweiſe, ſo wie die Vermehrung
der Staͤmme, noͤthigte die Voͤlker bald ſich
von einander zu entfernen. Sie konnten ſich
ſogleich nicht entſchließen ihre Verwandte und
Freunde fuͤr immer fahren zu laſſen; ſie ka¬
men auf den Gedanken einen hohen Thurm
zu bauen, der ihnen aus weiter Ferne den
Weg wieder zuruͤck weiſen ſollte. Aber dieſer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0318" n="302"/>
baren Geretteten lag. Zwey Flu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e von vie¬<lb/>
ren, Euphrat und Tigris, flo&#x017F;&#x017F;en noch in ih¬<lb/>
ren Betten. Der Name des er&#x017F;ten blieb;<lb/>
den andern &#x017F;chien &#x017F;ein Lauf zu bezeichnen.<lb/>
Genauere Spuren des Paradie&#x017F;es wa&#x0364;ren nach<lb/>
einer &#x017F;o großen Umwa&#x0364;lzung nicht zu fordern<lb/>
gewe&#x017F;en. Das erneute Men&#x017F;chenge&#x017F;chlecht<lb/>
ging von hier zum zweyten Mal aus; es<lb/>
fand Gelegenheit &#x017F;ich auf alle Arten zu na&#x0364;<lb/>
ren und zu be&#x017F;cha&#x0364;ftigen, am mei&#x017F;ten aber<lb/>
große Heerden zahmer Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe um &#x017F;ich zu<lb/>
ver&#x017F;ammlen und mit ihnen nach allen Seiten<lb/>
hinzuziehen.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;e Lebenswei&#x017F;e, &#x017F;o wie die Vermehrung<lb/>
der Sta&#x0364;mme, no&#x0364;thigte die Vo&#x0364;lker bald &#x017F;ich<lb/>
von einander zu entfernen. Sie konnten &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;ogleich nicht ent&#x017F;chließen ihre Verwandte und<lb/>
Freunde fu&#x0364;r immer fahren zu la&#x017F;&#x017F;en; &#x017F;ie ka¬<lb/>
men auf den Gedanken einen hohen Thurm<lb/>
zu bauen, der ihnen aus weiter Ferne den<lb/>
Weg wieder zuru&#x0364;ck wei&#x017F;en &#x017F;ollte. Aber die&#x017F;er<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[302/0318] baren Geretteten lag. Zwey Fluͤſſe von vie¬ ren, Euphrat und Tigris, floſſen noch in ih¬ ren Betten. Der Name des erſten blieb; den andern ſchien ſein Lauf zu bezeichnen. Genauere Spuren des Paradieſes waͤren nach einer ſo großen Umwaͤlzung nicht zu fordern geweſen. Das erneute Menſchengeſchlecht ging von hier zum zweyten Mal aus; es fand Gelegenheit ſich auf alle Arten zu naͤh¬ ren und zu beſchaͤftigen, am meiſten aber große Heerden zahmer Geſchoͤpfe um ſich zu verſammlen und mit ihnen nach allen Seiten hinzuziehen. Dieſe Lebensweiſe, ſo wie die Vermehrung der Staͤmme, noͤthigte die Voͤlker bald ſich von einander zu entfernen. Sie konnten ſich ſogleich nicht entſchließen ihre Verwandte und Freunde fuͤr immer fahren zu laſſen; ſie ka¬ men auf den Gedanken einen hohen Thurm zu bauen, der ihnen aus weiter Ferne den Weg wieder zuruͤck weiſen ſollte. Aber dieſer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/318
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/318>, abgerufen am 01.09.2024.