dick aber breit, unförmlich ohne verwachsen zu seyn, kurz ein Aesop mit Chorrock und Perücke. Sein über-siebzigjähriges Gesicht war durchaus zu einem sarkastischen Lächeln verzogen, wobey seine Augen immer groß blieben, und obgleich roth doch immer leuch¬ tend und geistreich waren. Er wohnte in dem alten Kloster zu den Barfüßern, dem Sitz des Gymnasiums. Ich hatte schon als Kind, meine Aeltern begleitend, ihn manch¬ mal besucht, und die langen dunklen Gänge, die in Visitenzimmer verwandelten Capellen, das unterbrochne treppen- und winkelhafte Lo¬ cal mit schaurigem Behagen durchstrichen. Ohne mir unbequem zu seyn, examinirte er mich so oft er mich sah, und lobte und er¬ munterte mich. Eines Tages, bey der Trans¬ location nach öffentlichem Examen, sah er mich als einen auswärtigen Zuschauer, während er die silbernen silbernen praemia virtutis diligentiae austheilte, nicht weit von seinem Catheder stehen. Ich mochte gar sehnlich nach dem
dick aber breit, unfoͤrmlich ohne verwachſen zu ſeyn, kurz ein Aeſop mit Chorrock und Peruͤcke. Sein uͤber-ſiebzigjaͤhriges Geſicht war durchaus zu einem ſarkaſtiſchen Laͤcheln verzogen, wobey ſeine Augen immer groß blieben, und obgleich roth doch immer leuch¬ tend und geiſtreich waren. Er wohnte in dem alten Kloſter zu den Barfuͤßern, dem Sitz des Gymnaſiums. Ich hatte ſchon als Kind, meine Aeltern begleitend, ihn manch¬ mal beſucht, und die langen dunklen Gaͤnge, die in Viſitenzimmer verwandelten Capellen, das unterbrochne treppen- und winkelhafte Lo¬ cal mit ſchaurigem Behagen durchſtrichen. Ohne mir unbequem zu ſeyn, examinirte er mich ſo oft er mich ſah, und lobte und er¬ munterte mich. Eines Tages, bey der Trans¬ location nach oͤffentlichem Examen, ſah er mich als einen auswaͤrtigen Zuſchauer, waͤhrend er die ſilbernen ſilbernen praemia virtutis diligentiae austheilte, nicht weit von ſeinem Catheder ſtehen. Ich mochte gar ſehnlich nach dem
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dick aber breit, unfoͤrmlich ohne verwachſen
zu ſeyn, kurz ein Aeſop mit Chorrock und
Peruͤcke. Sein uͤber-ſiebzigjaͤhriges Geſicht
war durchaus zu einem ſarkaſtiſchen Laͤcheln
verzogen, wobey ſeine Augen immer groß
blieben, und obgleich roth doch immer leuch¬
tend und geiſtreich waren. Er wohnte in
dem alten Kloſter zu den Barfuͤßern, dem
Sitz des Gymnaſiums. Ich hatte ſchon als
Kind, meine Aeltern begleitend, ihn manch¬
mal beſucht, und die langen dunklen Gaͤnge,
die in Viſitenzimmer verwandelten Capellen,
das unterbrochne treppen- und winkelhafte Lo¬
cal mit ſchaurigem Behagen durchſtrichen.
Ohne mir unbequem zu ſeyn, examinirte er
mich ſo oft er mich ſah, und lobte und er¬
munterte mich. Eines Tages, bey der Trans¬
location nach oͤffentlichem Examen, ſah er mich
als einen auswaͤrtigen Zuſchauer, waͤhrend er
die ſilbernen ſilbernen praemia virtutis diligentiae
austheilte, nicht weit von ſeinem Catheder
ſtehen. Ich mochte gar ſehnlich nach dem
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/306>, abgerufen am 28.11.2024.
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