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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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unsre Schätzung und Neigung. So geht es
mit allen Abbildungen, besonders auch mit
Porträten. Nicht leicht ist Jemand mit
dem Conterfey eines Gegenwärtigen zufrie¬
den, und wie erwünscht ist uns jeder Schat¬
tenriß eines Abwesenden oder gar Abge¬
schiedenen.

Genug, in diesem Gefühl seiner bisheri¬
gen Verschwendung wollte mein Vater jene
Kupferstiche soviel wie möglich wieder herge¬
stellt wissen. Daß dieses durch Bleichen
möglich sey, war bekannt; und diese bey
großen Blättern immer bedenkliche Operation
wurde unter ziemlich ungünstigen Localumstän¬
den vorgenommen. Denn die großen Bret¬
ter, worauf die angerauchten Kupfer befeuch¬
tet und der Sonne ausgestellt wurden, stan¬
den vor Mansardfenstern in den Dachrinnen
an das Dach gelehnt, und waren daher man¬
chen Unfällen ausgesetzt. Dabey war die
Hauptsache, daß das Papier niemals aus¬

unſre Schaͤtzung und Neigung. So geht es
mit allen Abbildungen, beſonders auch mit
Portraͤten. Nicht leicht iſt Jemand mit
dem Conterfey eines Gegenwaͤrtigen zufrie¬
den, und wie erwuͤnſcht iſt uns jeder Schat¬
tenriß eines Abweſenden oder gar Abge¬
ſchiedenen.

Genug, in dieſem Gefuͤhl ſeiner bisheri¬
gen Verſchwendung wollte mein Vater jene
Kupferſtiche ſoviel wie moͤglich wieder herge¬
ſtellt wiſſen. Daß dieſes durch Bleichen
moͤglich ſey, war bekannt; und dieſe bey
großen Blaͤttern immer bedenkliche Operation
wurde unter ziemlich unguͤnſtigen Localumſtaͤn¬
den vorgenommen. Denn die großen Bret¬
ter, worauf die angerauchten Kupfer befeuch¬
tet und der Sonne ausgeſtellt wurden, ſtan¬
den vor Manſardfenſtern in den Dachrinnen
an das Dach gelehnt, und waren daher man¬
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[283/0299] unſre Schaͤtzung und Neigung. So geht es mit allen Abbildungen, beſonders auch mit Portraͤten. Nicht leicht iſt Jemand mit dem Conterfey eines Gegenwaͤrtigen zufrie¬ den, und wie erwuͤnſcht iſt uns jeder Schat¬ tenriß eines Abweſenden oder gar Abge¬ ſchiedenen. Genug, in dieſem Gefuͤhl ſeiner bisheri¬ gen Verſchwendung wollte mein Vater jene Kupferſtiche ſoviel wie moͤglich wieder herge¬ ſtellt wiſſen. Daß dieſes durch Bleichen moͤglich ſey, war bekannt; und dieſe bey großen Blaͤttern immer bedenkliche Operation wurde unter ziemlich unguͤnſtigen Localumſtaͤn¬ den vorgenommen. Denn die großen Bret¬ ter, worauf die angerauchten Kupfer befeuch¬ tet und der Sonne ausgeſtellt wurden, ſtan¬ den vor Manſardfenſtern in den Dachrinnen an das Dach gelehnt, und waren daher man¬ chen Unfaͤllen ausgeſetzt. Dabey war die Hauptſache, daß das Papier niemals aus¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/299>, abgerufen am 22.11.2024.