Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

gesendet; und sobald die Maulbeerbäume ge¬
nugsames Laub zeigten, ließ man sie aus¬
schlüpfen, und wartete der kaum sichtbaren
Geschöpfe mit großer Sorgfalt. In einem
Mansardzimmer waren Tische und Gestelle
mit Brettern aufgeschlagen, um ihnen mehr
Raum und Unterhalt zu bereiten: denn sie
wuchsen schnell, und waren nach der letzten
Häutung so heißhunrgig, daß man kaum
Blätter genug herbeyschaffen konnte, sie zu
nähren; ja sie mußten Tag und Nacht ge¬
füttert werden, weil eben alles darauf an¬
kommt, daß sie der Nahrung ja nicht zu ei¬
ner Zeit ermangeln, wo die große und wun¬
dersame Veränderung in ihnen vorgehen soll.
War die Witterung günstig, so konnte man
freylich dieses Geschäft als eine lustige Unter¬
haltung ansehen; trat aber Kälte ein, daß
die Maulbeerbäume litten, so machte es
große Noth. Noch unangenehmer aber war
es, wenn in der letzten Epoche Regen ein¬
fiel: denn diese Geschöpfe können die Feuch¬

geſendet; und ſobald die Maulbeerbaͤume ge¬
nugſames Laub zeigten, ließ man ſie aus¬
ſchluͤpfen, und wartete der kaum ſichtbaren
Geſchoͤpfe mit großer Sorgfalt. In einem
Manſardzimmer waren Tiſche und Geſtelle
mit Brettern aufgeſchlagen, um ihnen mehr
Raum und Unterhalt zu bereiten: denn ſie
wuchſen ſchnell, und waren nach der letzten
Haͤutung ſo heißhunrgig, daß man kaum
Blaͤtter genug herbeyſchaffen konnte, ſie zu
naͤhren; ja ſie mußten Tag und Nacht ge¬
fuͤttert werden, weil eben alles darauf an¬
kommt, daß ſie der Nahrung ja nicht zu ei¬
ner Zeit ermangeln, wo die große und wun¬
derſame Veraͤnderung in ihnen vorgehen ſoll.
War die Witterung guͤnſtig, ſo konnte man
freylich dieſes Geſchaͤft als eine luſtige Unter¬
haltung anſehen; trat aber Kaͤlte ein, daß
die Maulbeerbaͤume litten, ſo machte es
große Noth. Noch unangenehmer aber war
es, wenn in der letzten Epoche Regen ein¬
fiel: denn dieſe Geſchoͤpfe koͤnnen die Feuch¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0296" n="280"/>
ge&#x017F;endet; und &#x017F;obald die Maulbeerba&#x0364;ume ge¬<lb/>
nug&#x017F;ames Laub zeigten, ließ man &#x017F;ie aus¬<lb/>
&#x017F;chlu&#x0364;pfen, und wartete der kaum &#x017F;ichtbaren<lb/>
Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe mit großer Sorgfalt. In einem<lb/>
Man&#x017F;ardzimmer waren Ti&#x017F;che und Ge&#x017F;telle<lb/>
mit Brettern aufge&#x017F;chlagen, um ihnen mehr<lb/>
Raum und Unterhalt zu bereiten: denn &#x017F;ie<lb/>
wuch&#x017F;en &#x017F;chnell, und waren nach der letzten<lb/>
Ha&#x0364;utung &#x017F;o heißhunrgig, daß man kaum<lb/>
Bla&#x0364;tter genug herbey&#x017F;chaffen konnte, &#x017F;ie zu<lb/>
na&#x0364;hren; ja &#x017F;ie mußten Tag und Nacht ge¬<lb/>
fu&#x0364;ttert werden, weil eben alles darauf an¬<lb/>
kommt, daß &#x017F;ie der Nahrung ja nicht zu ei¬<lb/>
ner Zeit ermangeln, wo die große und wun¬<lb/>
der&#x017F;ame Vera&#x0364;nderung in ihnen vorgehen &#x017F;oll.<lb/>
War die Witterung gu&#x0364;n&#x017F;tig, &#x017F;o konnte man<lb/>
freylich die&#x017F;es Ge&#x017F;cha&#x0364;ft als eine lu&#x017F;tige Unter¬<lb/>
haltung an&#x017F;ehen; trat aber Ka&#x0364;lte ein, daß<lb/>
die Maulbeerba&#x0364;ume litten, &#x017F;o machte es<lb/>
große Noth. Noch unangenehmer aber war<lb/>
es, wenn in der letzten Epoche Regen ein¬<lb/>
fiel: denn die&#x017F;e Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe ko&#x0364;nnen die Feuch¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[280/0296] geſendet; und ſobald die Maulbeerbaͤume ge¬ nugſames Laub zeigten, ließ man ſie aus¬ ſchluͤpfen, und wartete der kaum ſichtbaren Geſchoͤpfe mit großer Sorgfalt. In einem Manſardzimmer waren Tiſche und Geſtelle mit Brettern aufgeſchlagen, um ihnen mehr Raum und Unterhalt zu bereiten: denn ſie wuchſen ſchnell, und waren nach der letzten Haͤutung ſo heißhunrgig, daß man kaum Blaͤtter genug herbeyſchaffen konnte, ſie zu naͤhren; ja ſie mußten Tag und Nacht ge¬ fuͤttert werden, weil eben alles darauf an¬ kommt, daß ſie der Nahrung ja nicht zu ei¬ ner Zeit ermangeln, wo die große und wun¬ derſame Veraͤnderung in ihnen vorgehen ſoll. War die Witterung guͤnſtig, ſo konnte man freylich dieſes Geſchaͤft als eine luſtige Unter¬ haltung anſehen; trat aber Kaͤlte ein, daß die Maulbeerbaͤume litten, ſo machte es große Noth. Noch unangenehmer aber war es, wenn in der letzten Epoche Regen ein¬ fiel: denn dieſe Geſchoͤpfe koͤnnen die Feuch¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/296
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/296>, abgerufen am 23.11.2024.