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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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er mich ernstlicher dazu an, als zur Musik,
welche er dagegen meiner Schwester vorzüg¬
lich empfahl, ja dieselbe außer ihren Lehr¬
stunden eine ziemliche Zeit des Tages am
Claviere festhielt.

Je mehr ich aber auf diese Weise zu
treiben veranlaßt wurde, desto mehr wollte
ich treiben, und selbst die Freystunden wur¬
den zu allerley wunderlichen Beschäftigungen
verwendet. Schon seit meinen frühsten Zei¬
ten fühlte ich einen Untersuchungstrieb gegen
natürliche Dinge. Man legt es manchmal
als eine Anlage zur Grausamkeit aus, daß
Kinder solche Gegenstände, mit denen sie
eine Zeit lang gespielt, die sie bald so, bald
so gehandhabt, endlich zerstücken, zerreißen
und zerfetzen. Doch pflegt sich auch die
Neugierde, das Verlangen, zu erfahren wie
solche Dinge zusammenhängen, wie sie in¬
wendig aussehen, auf diese Weise an den
Tag zu legen. Ich erinnere mich, daß ich

er mich ernſtlicher dazu an, als zur Muſik,
welche er dagegen meiner Schweſter vorzuͤg¬
lich empfahl, ja dieſelbe außer ihren Lehr¬
ſtunden eine ziemliche Zeit des Tages am
Claviere feſthielt.

Je mehr ich aber auf dieſe Weiſe zu
treiben veranlaßt wurde, deſto mehr wollte
ich treiben, und ſelbſt die Freyſtunden wur¬
den zu allerley wunderlichen Beſchaͤftigungen
verwendet. Schon ſeit meinen fruͤhſten Zei¬
ten fuͤhlte ich einen Unterſuchungstrieb gegen
natuͤrliche Dinge. Man legt es manchmal
als eine Anlage zur Grauſamkeit aus, daß
Kinder ſolche Gegenſtaͤnde, mit denen ſie
eine Zeit lang geſpielt, die ſie bald ſo, bald
ſo gehandhabt, endlich zerſtuͤcken, zerreißen
und zerfetzen. Doch pflegt ſich auch die
Neugierde, das Verlangen, zu erfahren wie
ſolche Dinge zuſammenhaͤngen, wie ſie in¬
wendig ausſehen, auf dieſe Weiſe an den
Tag zu legen. Ich erinnere mich, daß ich

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[272/0288] er mich ernſtlicher dazu an, als zur Muſik, welche er dagegen meiner Schweſter vorzuͤg¬ lich empfahl, ja dieſelbe außer ihren Lehr¬ ſtunden eine ziemliche Zeit des Tages am Claviere feſthielt. Je mehr ich aber auf dieſe Weiſe zu treiben veranlaßt wurde, deſto mehr wollte ich treiben, und ſelbſt die Freyſtunden wur¬ den zu allerley wunderlichen Beſchaͤftigungen verwendet. Schon ſeit meinen fruͤhſten Zei¬ ten fuͤhlte ich einen Unterſuchungstrieb gegen natuͤrliche Dinge. Man legt es manchmal als eine Anlage zur Grauſamkeit aus, daß Kinder ſolche Gegenſtaͤnde, mit denen ſie eine Zeit lang geſpielt, die ſie bald ſo, bald ſo gehandhabt, endlich zerſtuͤcken, zerreißen und zerfetzen. Doch pflegt ſich auch die Neugierde, das Verlangen, zu erfahren wie ſolche Dinge zuſammenhaͤngen, wie ſie in¬ wendig ausſehen, auf dieſe Weiſe an den Tag zu legen. Ich erinnere mich, daß ich

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/288>, abgerufen am 02.09.2024.