kreise nicht nur erzählt, sondern mit allen Umständen und Gebärden aufgeführt.
Nach solchen Verwirrungen, Unruhen und Bedrängnissen fand sich gar bald die vorige Sicherheit und der Leichtsinn wieder, mit welchem besonders die Jugend von Tag zu Tage lebt, wenn es nur einigermaßen ange¬ hen will. Meine Leidenschaft zu dem fran¬ zösischen Theater wuchs mit jeder Vorstel¬ lung; ich versäumte keinen Abend, ob ich gleich jedesmal, wenn ich nach dem Schau¬ spiel mich zur speisenden Familie an den Tisch setzte und mich gar oft nur mit einigen Resten begnügte, die steten Vorwürfe des Vaters zu dulden hatte: das Theater sey zu gar nichts nütze, und könne zu gar nichts führen. Ich rief in solchem Falle gewöhnlich alle und jede Argumente hervor, welche den Vertheidigern des Schauspiels zur Hand sind, wenn sie in eine gleiche Noth wie die mei¬ nige gerathen. Das Laster im Glück, die
kreiſe nicht nur erzaͤhlt, ſondern mit allen Umſtaͤnden und Gebaͤrden aufgefuͤhrt.
Nach ſolchen Verwirrungen, Unruhen und Bedraͤngniſſen fand ſich gar bald die vorige Sicherheit und der Leichtſinn wieder, mit welchem beſonders die Jugend von Tag zu Tage lebt, wenn es nur einigermaßen ange¬ hen will. Meine Leidenſchaft zu dem fran¬ zoͤſiſchen Theater wuchs mit jeder Vorſtel¬ lung; ich verſaͤumte keinen Abend, ob ich gleich jedesmal, wenn ich nach dem Schau¬ ſpiel mich zur ſpeiſenden Familie an den Tiſch ſetzte und mich gar oft nur mit einigen Reſten begnuͤgte, die ſteten Vorwuͤrfe des Vaters zu dulden hatte: das Theater ſey zu gar nichts nuͤtze, und koͤnne zu gar nichts fuͤhren. Ich rief in ſolchem Falle gewoͤhnlich alle und jede Argumente hervor, welche den Vertheidigern des Schauſpiels zur Hand ſind, wenn ſie in eine gleiche Noth wie die mei¬ nige gerathen. Das Laſter im Gluͤck, die
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0258"n="242"/>
kreiſe nicht nur erzaͤhlt, ſondern mit allen<lb/>
Umſtaͤnden und Gebaͤrden aufgefuͤhrt.</p><lb/><p>Nach ſolchen Verwirrungen, Unruhen und<lb/>
Bedraͤngniſſen fand ſich gar bald die vorige<lb/>
Sicherheit und der Leichtſinn wieder, mit<lb/>
welchem beſonders die Jugend von Tag zu<lb/>
Tage lebt, wenn es nur einigermaßen ange¬<lb/>
hen will. Meine Leidenſchaft zu dem fran¬<lb/>
zoͤſiſchen Theater wuchs mit jeder Vorſtel¬<lb/>
lung; ich verſaͤumte keinen Abend, ob ich<lb/>
gleich jedesmal, wenn ich nach dem Schau¬<lb/>ſpiel mich zur ſpeiſenden Familie an den<lb/>
Tiſch ſetzte und mich gar oft nur mit einigen<lb/>
Reſten begnuͤgte, die ſteten Vorwuͤrfe des<lb/>
Vaters zu dulden hatte: das Theater ſey zu<lb/>
gar nichts nuͤtze, und koͤnne zu gar nichts<lb/>
fuͤhren. Ich rief in ſolchem Falle gewoͤhnlich<lb/>
alle und jede Argumente hervor, welche den<lb/>
Vertheidigern des Schauſpiels zur Hand ſind,<lb/>
wenn ſie in eine gleiche Noth wie die mei¬<lb/>
nige gerathen. Das Laſter im Gluͤck, die<lb/></p></div></body></text></TEI>
[242/0258]
kreiſe nicht nur erzaͤhlt, ſondern mit allen
Umſtaͤnden und Gebaͤrden aufgefuͤhrt.
Nach ſolchen Verwirrungen, Unruhen und
Bedraͤngniſſen fand ſich gar bald die vorige
Sicherheit und der Leichtſinn wieder, mit
welchem beſonders die Jugend von Tag zu
Tage lebt, wenn es nur einigermaßen ange¬
hen will. Meine Leidenſchaft zu dem fran¬
zoͤſiſchen Theater wuchs mit jeder Vorſtel¬
lung; ich verſaͤumte keinen Abend, ob ich
gleich jedesmal, wenn ich nach dem Schau¬
ſpiel mich zur ſpeiſenden Familie an den
Tiſch ſetzte und mich gar oft nur mit einigen
Reſten begnuͤgte, die ſteten Vorwuͤrfe des
Vaters zu dulden hatte: das Theater ſey zu
gar nichts nuͤtze, und koͤnne zu gar nichts
fuͤhren. Ich rief in ſolchem Falle gewoͤhnlich
alle und jede Argumente hervor, welche den
Vertheidigern des Schauſpiels zur Hand ſind,
wenn ſie in eine gleiche Noth wie die mei¬
nige gerathen. Das Laſter im Gluͤck, die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/258>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.