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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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bekannt; das Italiänische vermittelte noch
mehr, und so horchte ich in kurzer Zeit von
Bedienten und Soldaten, Schildwachen und
Besuchen so viel heraus, daß ich mich, wo
nicht ins Gespräch mischen, doch wenigstens
einzelne Fragen und Antworten bestehen konnte.
Aber dieses war alles nur wenig gegen den
Vortheil, den mir das Theater brachte. Von
meinem Großvater hatte ich ein Freybillet
erhalten, dessen ich mich, mit Widerwillen
meines Vaters, unter dem Beystand meiner
Mutter, täglich bediente. Hier saß ich nun
im Parterre vor einer fremden Bühne, und
paßte um so mehr auf Bewegung, mimischen
und Rede-Ausdruck, als ich wenig oder
nichts von dem verstand was da oben gespro¬
chen wurde, und also meine Unterhaltung nur
vom Geberdenspiel und Sprachton nehmen
konnte. Von der Comödie verstand ich am
wenigsten, weil sie geschwind gesprochen wurde
und sich auf Dinge des gemeinen Lebens be¬
zog, deren Ausdrücke mir gar nicht bekannt

bekannt; das Italiaͤniſche vermittelte noch
mehr, und ſo horchte ich in kurzer Zeit von
Bedienten und Soldaten, Schildwachen und
Beſuchen ſo viel heraus, daß ich mich, wo
nicht ins Geſpraͤch miſchen, doch wenigſtens
einzelne Fragen und Antworten beſtehen konnte.
Aber dieſes war alles nur wenig gegen den
Vortheil, den mir das Theater brachte. Von
meinem Großvater hatte ich ein Freybillet
erhalten, deſſen ich mich, mit Widerwillen
meines Vaters, unter dem Beyſtand meiner
Mutter, taͤglich bediente. Hier ſaß ich nun
im Parterre vor einer fremden Buͤhne, und
paßte um ſo mehr auf Bewegung, mimiſchen
und Rede-Ausdruck, als ich wenig oder
nichts von dem verſtand was da oben geſpro¬
chen wurde, und alſo meine Unterhaltung nur
vom Geberdenſpiel und Sprachton nehmen
konnte. Von der Comoͤdie verſtand ich am
wenigſten, weil ſie geſchwind geſprochen wurde
und ſich auf Dinge des gemeinen Lebens be¬
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[203/0219] bekannt; das Italiaͤniſche vermittelte noch mehr, und ſo horchte ich in kurzer Zeit von Bedienten und Soldaten, Schildwachen und Beſuchen ſo viel heraus, daß ich mich, wo nicht ins Geſpraͤch miſchen, doch wenigſtens einzelne Fragen und Antworten beſtehen konnte. Aber dieſes war alles nur wenig gegen den Vortheil, den mir das Theater brachte. Von meinem Großvater hatte ich ein Freybillet erhalten, deſſen ich mich, mit Widerwillen meines Vaters, unter dem Beyſtand meiner Mutter, taͤglich bediente. Hier ſaß ich nun im Parterre vor einer fremden Buͤhne, und paßte um ſo mehr auf Bewegung, mimiſchen und Rede-Ausdruck, als ich wenig oder nichts von dem verſtand was da oben geſpro¬ chen wurde, und alſo meine Unterhaltung nur vom Geberdenſpiel und Sprachton nehmen konnte. Von der Comoͤdie verſtand ich am wenigſten, weil ſie geſchwind geſprochen wurde und ſich auf Dinge des gemeinen Lebens be¬ zog, deren Ausdruͤcke mir gar nicht bekannt

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/219>, abgerufen am 27.11.2024.