bekannt; das Italiänische vermittelte noch mehr, und so horchte ich in kurzer Zeit von Bedienten und Soldaten, Schildwachen und Besuchen so viel heraus, daß ich mich, wo nicht ins Gespräch mischen, doch wenigstens einzelne Fragen und Antworten bestehen konnte. Aber dieses war alles nur wenig gegen den Vortheil, den mir das Theater brachte. Von meinem Großvater hatte ich ein Freybillet erhalten, dessen ich mich, mit Widerwillen meines Vaters, unter dem Beystand meiner Mutter, täglich bediente. Hier saß ich nun im Parterre vor einer fremden Bühne, und paßte um so mehr auf Bewegung, mimischen und Rede-Ausdruck, als ich wenig oder nichts von dem verstand was da oben gespro¬ chen wurde, und also meine Unterhaltung nur vom Geberdenspiel und Sprachton nehmen konnte. Von der Comödie verstand ich am wenigsten, weil sie geschwind gesprochen wurde und sich auf Dinge des gemeinen Lebens be¬ zog, deren Ausdrücke mir gar nicht bekannt
bekannt; das Italiaͤniſche vermittelte noch mehr, und ſo horchte ich in kurzer Zeit von Bedienten und Soldaten, Schildwachen und Beſuchen ſo viel heraus, daß ich mich, wo nicht ins Geſpraͤch miſchen, doch wenigſtens einzelne Fragen und Antworten beſtehen konnte. Aber dieſes war alles nur wenig gegen den Vortheil, den mir das Theater brachte. Von meinem Großvater hatte ich ein Freybillet erhalten, deſſen ich mich, mit Widerwillen meines Vaters, unter dem Beyſtand meiner Mutter, taͤglich bediente. Hier ſaß ich nun im Parterre vor einer fremden Buͤhne, und paßte um ſo mehr auf Bewegung, mimiſchen und Rede-Ausdruck, als ich wenig oder nichts von dem verſtand was da oben geſpro¬ chen wurde, und alſo meine Unterhaltung nur vom Geberdenſpiel und Sprachton nehmen konnte. Von der Comoͤdie verſtand ich am wenigſten, weil ſie geſchwind geſprochen wurde und ſich auf Dinge des gemeinen Lebens be¬ zog, deren Ausdruͤcke mir gar nicht bekannt
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0219"n="203"/>
bekannt; das Italiaͤniſche vermittelte noch<lb/>
mehr, und ſo horchte ich in kurzer Zeit von<lb/>
Bedienten und Soldaten, Schildwachen und<lb/>
Beſuchen ſo viel heraus, daß ich mich, wo<lb/>
nicht ins Geſpraͤch miſchen, doch wenigſtens<lb/>
einzelne Fragen und Antworten beſtehen konnte.<lb/>
Aber dieſes war alles nur wenig gegen den<lb/>
Vortheil, den mir das Theater brachte. Von<lb/>
meinem Großvater hatte ich ein Freybillet<lb/>
erhalten, deſſen ich mich, mit Widerwillen<lb/>
meines Vaters, unter dem Beyſtand meiner<lb/>
Mutter, taͤglich bediente. Hier ſaß ich nun<lb/>
im Parterre vor einer fremden Buͤhne, und<lb/>
paßte um ſo mehr auf Bewegung, mimiſchen<lb/>
und Rede-Ausdruck, als ich wenig oder<lb/>
nichts von dem verſtand was da oben geſpro¬<lb/>
chen wurde, und alſo meine Unterhaltung nur<lb/>
vom Geberdenſpiel und Sprachton nehmen<lb/>
konnte. Von der Comoͤdie verſtand ich am<lb/>
wenigſten, weil ſie geſchwind geſprochen wurde<lb/>
und ſich auf Dinge des gemeinen Lebens be¬<lb/>
zog, deren Ausdruͤcke mir gar nicht bekannt<lb/></p></div></body></text></TEI>
[203/0219]
bekannt; das Italiaͤniſche vermittelte noch
mehr, und ſo horchte ich in kurzer Zeit von
Bedienten und Soldaten, Schildwachen und
Beſuchen ſo viel heraus, daß ich mich, wo
nicht ins Geſpraͤch miſchen, doch wenigſtens
einzelne Fragen und Antworten beſtehen konnte.
Aber dieſes war alles nur wenig gegen den
Vortheil, den mir das Theater brachte. Von
meinem Großvater hatte ich ein Freybillet
erhalten, deſſen ich mich, mit Widerwillen
meines Vaters, unter dem Beyſtand meiner
Mutter, taͤglich bediente. Hier ſaß ich nun
im Parterre vor einer fremden Buͤhne, und
paßte um ſo mehr auf Bewegung, mimiſchen
und Rede-Ausdruck, als ich wenig oder
nichts von dem verſtand was da oben geſpro¬
chen wurde, und alſo meine Unterhaltung nur
vom Geberdenſpiel und Sprachton nehmen
konnte. Von der Comoͤdie verſtand ich am
wenigſten, weil ſie geſchwind geſprochen wurde
und ſich auf Dinge des gemeinen Lebens be¬
zog, deren Ausdruͤcke mir gar nicht bekannt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/219>, abgerufen am 09.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.