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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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sen Pinsel ihm besonders bey natürlichen und
unschuldigen Vorstellungen höchlich gefiel, für
eine ganze Zeit in Arbeit zu setzen. Er ließ
daher von Grasse, wo sein älterer Bruder
ein schönes Gebäude besitzen mochte, die sämmt¬
lichen Maße aller Zimmer und Cabinette her¬
beykommen, überlegte sodann mit den Künst¬
lern die Wandabtheilungen, und bestimmte
die Größe der hiernach zu verfertigenden an¬
sehnlichen Oelbilder, welche nicht in Ramen
eingefaßt, sondern als Tapetentheile auf die
Wand befestigt werden sollten. Hier ging
nun die Arbeit eifrig an. Seekaz über¬
nahm ländliche Scenen, worin die Greise und
Kinder, unmittelbar nach der Natur gemalt,
ganz herrlich glückten; die Jünglinge wollten
ihm nicht eben so gerathen, sie waren meist
zu hager; und die Frauen misfielen aus der
entgegengesetzten Ursache. Denn da er eine
kleine dicke, gute aber unangenehme Person
zur Frau hatte, die ihm außer sich selbst nicht
wohl ein Modell zuließ; so wollte nichts Ge¬

ſen Pinſel ihm beſonders bey natuͤrlichen und
unſchuldigen Vorſtellungen hoͤchlich gefiel, fuͤr
eine ganze Zeit in Arbeit zu ſetzen. Er ließ
daher von Graſſe, wo ſein aͤlterer Bruder
ein ſchoͤnes Gebaͤude beſitzen mochte, die ſaͤmmt¬
lichen Maße aller Zimmer und Cabinette her¬
beykommen, uͤberlegte ſodann mit den Kuͤnſt¬
lern die Wandabtheilungen, und beſtimmte
die Groͤße der hiernach zu verfertigenden an¬
ſehnlichen Oelbilder, welche nicht in Ramen
eingefaßt, ſondern als Tapetentheile auf die
Wand befeſtigt werden ſollten. Hier ging
nun die Arbeit eifrig an. Seekaz uͤber¬
nahm laͤndliche Scenen, worin die Greiſe und
Kinder, unmittelbar nach der Natur gemalt,
ganz herrlich gluͤckten; die Juͤnglinge wollten
ihm nicht eben ſo gerathen, ſie waren meiſt
zu hager; und die Frauen misfielen aus der
entgegengeſetzten Urſache. Denn da er eine
kleine dicke, gute aber unangenehme Perſon
zur Frau hatte, die ihm außer ſich ſelbſt nicht
wohl ein Modell zuließ; ſo wollte nichts Ge¬

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[197/0213] ſen Pinſel ihm beſonders bey natuͤrlichen und unſchuldigen Vorſtellungen hoͤchlich gefiel, fuͤr eine ganze Zeit in Arbeit zu ſetzen. Er ließ daher von Graſſe, wo ſein aͤlterer Bruder ein ſchoͤnes Gebaͤude beſitzen mochte, die ſaͤmmt¬ lichen Maße aller Zimmer und Cabinette her¬ beykommen, uͤberlegte ſodann mit den Kuͤnſt¬ lern die Wandabtheilungen, und beſtimmte die Groͤße der hiernach zu verfertigenden an¬ ſehnlichen Oelbilder, welche nicht in Ramen eingefaßt, ſondern als Tapetentheile auf die Wand befeſtigt werden ſollten. Hier ging nun die Arbeit eifrig an. Seekaz uͤber¬ nahm laͤndliche Scenen, worin die Greiſe und Kinder, unmittelbar nach der Natur gemalt, ganz herrlich gluͤckten; die Juͤnglinge wollten ihm nicht eben ſo gerathen, ſie waren meiſt zu hager; und die Frauen misfielen aus der entgegengeſetzten Urſache. Denn da er eine kleine dicke, gute aber unangenehme Perſon zur Frau hatte, die ihm außer ſich ſelbſt nicht wohl ein Modell zuließ; ſo wollte nichts Ge¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/213>, abgerufen am 27.11.2024.