Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

Wäre es, wie schon gesagt, möglich ge¬
wesen, den Vater zu erheitern, so hätte die¬
ser veränderte Zustand wenig Drückendes ge¬
habt. Der Graf übte die strengste Uneigen¬
nützigkeit; selbst Gaben, die seiner Stelle ge¬
bührten, lehnte er ab; das Geringste was einer
Bestechung hätte ähnlich sehen können, wurde
mit Zorn, ja mit Strafe weggewiesen; seinen
Leuten war aufs strengste befohlen, dem Haus¬
besitzer nicht die mindesten Unkosten zu ma¬
chen. Dagegen wurde uns Kindern reichlich
vom Nachtische mitgetheilt. Bey dieser Gele¬
heit muß ich, um von der Unschuld jener
Zeiten einen Begriff zu geben, anführen, daß
die Mutter uns eines Tages höchlich betrübte,
indem sie das Gefrorene, das man uns von
der Tafel sendete, weggoß, weil es ihr un¬
möglich vorkam, daß der Magen ein wahr¬
haftes Eis, wenn es auch noch so durchzuckert
sey, vertragen könne.

Außer diesen Leckereyen, die wir denn doch
allmählich ganz gut genießen und vertragen

Waͤre es, wie ſchon geſagt, moͤglich ge¬
weſen, den Vater zu erheitern, ſo haͤtte die¬
ſer veraͤnderte Zuſtand wenig Druͤckendes ge¬
habt. Der Graf uͤbte die ſtrengſte Uneigen¬
nuͤtzigkeit; ſelbſt Gaben, die ſeiner Stelle ge¬
buͤhrten, lehnte er ab; das Geringſte was einer
Beſtechung haͤtte aͤhnlich ſehen koͤnnen, wurde
mit Zorn, ja mit Strafe weggewieſen; ſeinen
Leuten war aufs ſtrengſte befohlen, dem Haus¬
beſitzer nicht die mindeſten Unkoſten zu ma¬
chen. Dagegen wurde uns Kindern reichlich
vom Nachtiſche mitgetheilt. Bey dieſer Gele¬
heit muß ich, um von der Unſchuld jener
Zeiten einen Begriff zu geben, anfuͤhren, daß
die Mutter uns eines Tages hoͤchlich betruͤbte,
indem ſie das Gefrorene, das man uns von
der Tafel ſendete, weggoß, weil es ihr un¬
moͤglich vorkam, daß der Magen ein wahr¬
haftes Eis, wenn es auch noch ſo durchzuckert
ſey, vertragen koͤnne.

Außer dieſen Leckereyen, die wir denn doch
allmaͤhlich ganz gut genießen und vertragen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0208" n="192"/>
        <p>Wa&#x0364;re es, wie &#x017F;chon ge&#x017F;agt, mo&#x0364;glich ge¬<lb/>
we&#x017F;en, den Vater zu erheitern, &#x017F;o ha&#x0364;tte die¬<lb/>
&#x017F;er vera&#x0364;nderte Zu&#x017F;tand wenig Dru&#x0364;ckendes ge¬<lb/>
habt. Der Graf u&#x0364;bte die &#x017F;treng&#x017F;te Uneigen¬<lb/>
nu&#x0364;tzigkeit; &#x017F;elb&#x017F;t Gaben, die &#x017F;einer Stelle ge¬<lb/>
bu&#x0364;hrten, lehnte er ab; das Gering&#x017F;te was einer<lb/>
Be&#x017F;techung ha&#x0364;tte a&#x0364;hnlich &#x017F;ehen ko&#x0364;nnen, wurde<lb/>
mit Zorn, ja mit Strafe weggewie&#x017F;en; &#x017F;einen<lb/>
Leuten war aufs &#x017F;treng&#x017F;te befohlen, dem Haus¬<lb/>
be&#x017F;itzer nicht die minde&#x017F;ten Unko&#x017F;ten zu ma¬<lb/>
chen. Dagegen wurde uns Kindern reichlich<lb/>
vom Nachti&#x017F;che mitgetheilt. Bey die&#x017F;er Gele¬<lb/>
heit muß ich, um von der Un&#x017F;chuld jener<lb/>
Zeiten einen Begriff zu geben, anfu&#x0364;hren, daß<lb/>
die Mutter uns eines Tages ho&#x0364;chlich betru&#x0364;bte,<lb/>
indem &#x017F;ie das Gefrorene, das man uns von<lb/>
der Tafel &#x017F;endete, weggoß, weil es ihr un¬<lb/>
mo&#x0364;glich vorkam, daß der Magen ein wahr¬<lb/>
haftes Eis, wenn es auch noch &#x017F;o durchzuckert<lb/>
&#x017F;ey, vertragen ko&#x0364;nne.</p><lb/>
        <p>Außer die&#x017F;en Leckereyen, die wir denn doch<lb/>
allma&#x0364;hlich ganz gut genießen und vertragen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[192/0208] Waͤre es, wie ſchon geſagt, moͤglich ge¬ weſen, den Vater zu erheitern, ſo haͤtte die¬ ſer veraͤnderte Zuſtand wenig Druͤckendes ge¬ habt. Der Graf uͤbte die ſtrengſte Uneigen¬ nuͤtzigkeit; ſelbſt Gaben, die ſeiner Stelle ge¬ buͤhrten, lehnte er ab; das Geringſte was einer Beſtechung haͤtte aͤhnlich ſehen koͤnnen, wurde mit Zorn, ja mit Strafe weggewieſen; ſeinen Leuten war aufs ſtrengſte befohlen, dem Haus¬ beſitzer nicht die mindeſten Unkoſten zu ma¬ chen. Dagegen wurde uns Kindern reichlich vom Nachtiſche mitgetheilt. Bey dieſer Gele¬ heit muß ich, um von der Unſchuld jener Zeiten einen Begriff zu geben, anfuͤhren, daß die Mutter uns eines Tages hoͤchlich betruͤbte, indem ſie das Gefrorene, das man uns von der Tafel ſendete, weggoß, weil es ihr un¬ moͤglich vorkam, daß der Magen ein wahr¬ haftes Eis, wenn es auch noch ſo durchzuckert ſey, vertragen koͤnne. Außer dieſen Leckereyen, die wir denn doch allmaͤhlich ganz gut genießen und vertragen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/208
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/208>, abgerufen am 28.11.2024.