ganz bestimmt behaupten hören, daß die Söhne den Vätern oder Großvätern oft ent¬ schieden ähnlich zu seyn pflegten. Mehrere un¬ serer Freunde, besonders auch Rath Schnei¬ der, unser Hausfreund, hatten Geschäftsver¬ bindungen mit allen Fürsten und Herren der Nachbarschaft, deren, sowohl regierender als nachgeborner, keine geringe Anzahl am Rhein und Main und in dem Raume zwi¬ schen beyden ihre Besitzungen hatten, und die aus besonderer Gunst ihre treuen Geschäfts¬ träger zuweilen wohl mit ihren Bildnissen beehrten. Diese, die ich von Jugend auf vielmals an den Wänden gesehen, betrach¬ tete ich nunmehr mit doppelter Aufmerksam¬ keit, forschend ob ich nicht eine Aehnlichkeit mit meinem Vater, oder gar mit mir entde¬ cken könnte; welches aber zu oft gelang, als daß es mich zu einiger Gewißheit hätte füh¬ ren können. Denn bald waren es die Au¬ gen von diesem, bald die Nase von jenem, die mir auf einige Verwandtschaft zu deuten
ganz beſtimmt behaupten hoͤren, daß die Soͤhne den Vaͤtern oder Großvaͤtern oft ent¬ ſchieden aͤhnlich zu ſeyn pflegten. Mehrere un¬ ſerer Freunde, beſonders auch Rath Schnei¬ der, unſer Hausfreund, hatten Geſchaͤftsver¬ bindungen mit allen Fuͤrſten und Herren der Nachbarſchaft, deren, ſowohl regierender als nachgeborner, keine geringe Anzahl am Rhein und Main und in dem Raume zwi¬ ſchen beyden ihre Beſitzungen hatten, und die aus beſonderer Gunſt ihre treuen Geſchaͤfts¬ traͤger zuweilen wohl mit ihren Bildniſſen beehrten. Dieſe, die ich von Jugend auf vielmals an den Waͤnden geſehen, betrach¬ tete ich nunmehr mit doppelter Aufmerkſam¬ keit, forſchend ob ich nicht eine Aehnlichkeit mit meinem Vater, oder gar mit mir entde¬ cken koͤnnte; welches aber zu oft gelang, als daß es mich zu einiger Gewißheit haͤtte fuͤh¬ ren koͤnnen. Denn bald waren es die Au¬ gen von dieſem, bald die Naſe von jenem, die mir auf einige Verwandtſchaft zu deuten
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ganz beſtimmt behaupten hoͤren, daß die
Soͤhne den Vaͤtern oder Großvaͤtern oft ent¬
ſchieden aͤhnlich zu ſeyn pflegten. Mehrere un¬
ſerer Freunde, beſonders auch Rath Schnei¬
der, unſer Hausfreund, hatten Geſchaͤftsver¬
bindungen mit allen Fuͤrſten und Herren
der Nachbarſchaft, deren, ſowohl regierender
als nachgeborner, keine geringe Anzahl am
Rhein und Main und in dem Raume zwi¬
ſchen beyden ihre Beſitzungen hatten, und die
aus beſonderer Gunſt ihre treuen Geſchaͤfts¬
traͤger zuweilen wohl mit ihren Bildniſſen
beehrten. Dieſe, die ich von Jugend auf
vielmals an den Waͤnden geſehen, betrach¬
tete ich nunmehr mit doppelter Aufmerkſam¬
keit, forſchend ob ich nicht eine Aehnlichkeit
mit meinem Vater, oder gar mit mir entde¬
cken koͤnnte; welches aber zu oft gelang, als
daß es mich zu einiger Gewißheit haͤtte fuͤh¬
ren koͤnnen. Denn bald waren es die Au¬
gen von dieſem, bald die Naſe von jenem,
die mir auf einige Verwandtſchaft zu deuten
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/169>, abgerufen am 22.11.2024.
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