ich aber, nun einmal im Gange, bückte mich einige Achatkugeln aufzuheben, welche an den goldnen Spießen herumrollten. Mein er¬ grimmter Wunsch war, ihr ganzes Heer zu vernichten; sie dagegen nicht faul, sprang auf mich los und gab mir eine Ohrfeige, daß mir der Kopf summte. Ich, der ich immer gehört hatte, auf die Ohrfeige eines Mäd¬ chens gehöre ein derber Kuß, faßte sie bey den Ohren und küßte sie zu wiederholten Ma¬ len. Sie aber that einen solchen durchdrin¬ genden Schrey, der mich selbst erschreckte; ich ließ sie fahren, und das war mein Glück: denn in dem Augenblick wußte ich nicht wie mir geschah. Der Boden unter mir fing an zu beben und zu rasseln; ich merkte ge¬ schwind, daß sich die Gitter wieder in Bewe¬ gung setzten: allein ich hatte nicht Zeit zu über¬ legen, noch konnte ich Fuß fassen, um zu fliehen. Ich fürchtete jeden Augenblick gespießt zu wer¬ den: denn die Partisanen und Lanzen, die sich aufrichteten, zerschlitzten mir schon die Kleider;
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ich aber, nun einmal im Gange, buͤckte mich einige Achatkugeln aufzuheben, welche an den goldnen Spießen herumrollten. Mein er¬ grimmter Wunſch war, ihr ganzes Heer zu vernichten; ſie dagegen nicht faul, ſprang auf mich los und gab mir eine Ohrfeige, daß mir der Kopf ſummte. Ich, der ich immer gehoͤrt hatte, auf die Ohrfeige eines Maͤd¬ chens gehoͤre ein derber Kuß, faßte ſie bey den Ohren und kuͤßte ſie zu wiederholten Ma¬ len. Sie aber that einen ſolchen durchdrin¬ genden Schrey, der mich ſelbſt erſchreckte; ich ließ ſie fahren, und das war mein Gluͤck: denn in dem Augenblick wußte ich nicht wie mir geſchah. Der Boden unter mir fing an zu beben und zu raſſeln; ich merkte ge¬ ſchwind, daß ſich die Gitter wieder in Bewe¬ gung ſetzten: allein ich hatte nicht Zeit zu uͤber¬ legen, noch konnte ich Fuß faſſen, um zu fliehen. Ich fuͤrchtete jeden Augenblick geſpießt zu wer¬ den: denn die Partiſanen und Lanzen, die ſich aufrichteten, zerſchlitzten mir ſchon die Kleider;
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ich aber, nun einmal im Gange, buͤckte mich
einige Achatkugeln aufzuheben, welche an den
goldnen Spießen herumrollten. Mein er¬
grimmter Wunſch war, ihr ganzes Heer zu
vernichten; ſie dagegen nicht faul, ſprang auf
mich los und gab mir eine Ohrfeige, daß
mir der Kopf ſummte. Ich, der ich immer
gehoͤrt hatte, auf die Ohrfeige eines Maͤd¬
chens gehoͤre ein derber Kuß, faßte ſie bey
den Ohren und kuͤßte ſie zu wiederholten Ma¬
len. Sie aber that einen ſolchen durchdrin¬
genden Schrey, der mich ſelbſt erſchreckte;
ich ließ ſie fahren, und das war mein Gluͤck:
denn in dem Augenblick wußte ich nicht wie
mir geſchah. Der Boden unter mir fing
an zu beben und zu raſſeln; ich merkte ge¬
ſchwind, daß ſich die Gitter wieder in Bewe¬
gung ſetzten: allein ich hatte nicht Zeit zu uͤber¬
legen, noch konnte ich Fuß faſſen, um zu fliehen.
Ich fuͤrchtete jeden Augenblick geſpießt zu wer¬
den: denn die Partiſanen und Lanzen, die ſich
aufrichteten, zerſchlitzten mir ſchon die Kleider;
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/147>, abgerufen am 24.11.2024.
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