Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

die Thüre, wo die Brücke seyn möchte, um
durch das Gitter, um über den Canal zu
kommen: denn ich hatte dergleichen bis jetzt
noch nicht ausfindig machen können. Ich
betrachtete daher die goldene Umzäunung sehr
genau, als wir darauf zueilten; allein au¬
genblicklich verging mir das Gesicht: denn
unerwartet begannen Spieße, Speere, Helle¬
barden, Partisanen sich zu rütteln und zu schüt¬
teln, und diese seltsame Bewegung endigte
damit, daß die sämmtlichen Spitzen sich gegen
einander senkten, eben als wenn zwey alter¬
thümliche, mit Piken bewaffnete Heerhaufen
gegen einander losgehen wollten. Die Ver¬
wirrung fürs Auge, das Geklirr für die Oh¬
ren, war kaum zu ertragen, aber unendlich
überraschend der Anblick, als sie völlig nie¬
dergelassen den Kreis des Canals bedeckten
und die herrlichste Brücke bildeten, die man
sich denken kann: denn nun lag das bunte¬
ste Gartenparterre vor meinem Blick. Es
war in verschlungene Beete getheilt, welche

die Thuͤre, wo die Bruͤcke ſeyn moͤchte, um
durch das Gitter, um uͤber den Canal zu
kommen: denn ich hatte dergleichen bis jetzt
noch nicht ausfindig machen koͤnnen. Ich
betrachtete daher die goldene Umzaͤunung ſehr
genau, als wir darauf zueilten; allein au¬
genblicklich verging mir das Geſicht: denn
unerwartet begannen Spieße, Speere, Helle¬
barden, Partiſanen ſich zu ruͤtteln und zu ſchuͤt¬
teln, und dieſe ſeltſame Bewegung endigte
damit, daß die ſaͤmmtlichen Spitzen ſich gegen
einander ſenkten, eben als wenn zwey alter¬
thuͤmliche, mit Piken bewaffnete Heerhaufen
gegen einander losgehen wollten. Die Ver¬
wirrung fuͤrs Auge, das Geklirr fuͤr die Oh¬
ren, war kaum zu ertragen, aber unendlich
uͤberraſchend der Anblick, als ſie voͤllig nie¬
dergelaſſen den Kreis des Canals bedeckten
und die herrlichſte Bruͤcke bildeten, die man
ſich denken kann: denn nun lag das bunte¬
ſte Gartenparterre vor meinem Blick. Es
war in verſchlungene Beete getheilt, welche

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0135" n="119"/>
die Thu&#x0364;re, wo die Bru&#x0364;cke &#x017F;eyn mo&#x0364;chte, um<lb/>
durch das Gitter, um u&#x0364;ber den Canal zu<lb/>
kommen: denn ich hatte dergleichen bis jetzt<lb/>
noch nicht ausfindig machen ko&#x0364;nnen. Ich<lb/>
betrachtete daher die goldene Umza&#x0364;unung &#x017F;ehr<lb/>
genau, als wir darauf zueilten; allein au¬<lb/>
genblicklich verging mir das Ge&#x017F;icht: denn<lb/>
unerwartet begannen Spieße, Speere, Helle¬<lb/>
barden, Parti&#x017F;anen &#x017F;ich zu ru&#x0364;tteln und zu &#x017F;chu&#x0364;<lb/>
teln, und die&#x017F;e &#x017F;elt&#x017F;ame Bewegung endigte<lb/>
damit, daß die &#x017F;a&#x0364;mmtlichen Spitzen &#x017F;ich gegen<lb/>
einander &#x017F;enkten, eben als wenn zwey alter¬<lb/>
thu&#x0364;mliche, mit Piken bewaffnete Heerhaufen<lb/>
gegen einander losgehen wollten. Die Ver¬<lb/>
wirrung fu&#x0364;rs Auge, das Geklirr fu&#x0364;r die Oh¬<lb/>
ren, war kaum zu ertragen, aber unendlich<lb/>
u&#x0364;berra&#x017F;chend der Anblick, als &#x017F;ie vo&#x0364;llig nie¬<lb/>
dergela&#x017F;&#x017F;en den Kreis des Canals bedeckten<lb/>
und die herrlich&#x017F;te Bru&#x0364;cke bildeten, die man<lb/>
&#x017F;ich denken kann: denn nun lag das bunte¬<lb/>
&#x017F;te Gartenparterre vor meinem Blick. Es<lb/>
war in ver&#x017F;chlungene Beete getheilt, welche<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[119/0135] die Thuͤre, wo die Bruͤcke ſeyn moͤchte, um durch das Gitter, um uͤber den Canal zu kommen: denn ich hatte dergleichen bis jetzt noch nicht ausfindig machen koͤnnen. Ich betrachtete daher die goldene Umzaͤunung ſehr genau, als wir darauf zueilten; allein au¬ genblicklich verging mir das Geſicht: denn unerwartet begannen Spieße, Speere, Helle¬ barden, Partiſanen ſich zu ruͤtteln und zu ſchuͤt¬ teln, und dieſe ſeltſame Bewegung endigte damit, daß die ſaͤmmtlichen Spitzen ſich gegen einander ſenkten, eben als wenn zwey alter¬ thuͤmliche, mit Piken bewaffnete Heerhaufen gegen einander losgehen wollten. Die Ver¬ wirrung fuͤrs Auge, das Geklirr fuͤr die Oh¬ ren, war kaum zu ertragen, aber unendlich uͤberraſchend der Anblick, als ſie voͤllig nie¬ dergelaſſen den Kreis des Canals bedeckten und die herrlichſte Bruͤcke bildeten, die man ſich denken kann: denn nun lag das bunte¬ ſte Gartenparterre vor meinem Blick. Es war in verſchlungene Beete getheilt, welche

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/135
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/135>, abgerufen am 24.11.2024.