Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

Nachmittags wollte ich einige Freunde be¬
suchen, sowohl um mich in meiner neuen
Kleidung, den Hut unter dem Arm und den
Degen an der Seite, sehen zu lassen, als
auch weil ich ihnen Besuche schuldig war.
Ich fand Niemanden zu Hause, und da
ich hörte, daß sie in die Gärten gegangen;
so gedachte ich ihnen zu folgen und den
Abend vergnügt zuzubringen. Mein Weg
führte mich den Zwinger hin, und ich kam
in die Gegend, welche mit Recht den Namen
schlimme Mauer führt: denn es ist dort
niemals ganz geheuer. Ich ging nur lang¬
sam und dachte an meine drey Göttinnen,
besonders aber an die kleine Nymphe, und
hielt meine Finger manchmal in die Höhe,
in Hoffnung sie würde so artig seyn, wieder
darauf zu balanciren. In diesen Gedanken
vorwärts gehend erblickte ich, linker Hand,
in der Mauer ein Pförtchen, das ich mich
nicht erinnerte je gesehen zu haben. Es
schien niedrig, aber der Spitzbogen drüber

Nachmittags wollte ich einige Freunde be¬
ſuchen, ſowohl um mich in meiner neuen
Kleidung, den Hut unter dem Arm und den
Degen an der Seite, ſehen zu laſſen, als
auch weil ich ihnen Beſuche ſchuldig war.
Ich fand Niemanden zu Hauſe, und da
ich hoͤrte, daß ſie in die Gaͤrten gegangen;
ſo gedachte ich ihnen zu folgen und den
Abend vergnuͤgt zuzubringen. Mein Weg
fuͤhrte mich den Zwinger hin, und ich kam
in die Gegend, welche mit Recht den Namen
ſchlimme Mauer fuͤhrt: denn es iſt dort
niemals ganz geheuer. Ich ging nur lang¬
ſam und dachte an meine drey Goͤttinnen,
beſonders aber an die kleine Nymphe, und
hielt meine Finger manchmal in die Hoͤhe,
in Hoffnung ſie wuͤrde ſo artig ſeyn, wieder
darauf zu balanciren. In dieſen Gedanken
vorwaͤrts gehend erblickte ich, linker Hand,
in der Mauer ein Pfoͤrtchen, das ich mich
nicht erinnerte je geſehen zu haben. Es
ſchien niedrig, aber der Spitzbogen druͤber

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0125" n="109"/>
Nachmittags wollte ich einige Freunde be¬<lb/>
&#x017F;uchen, &#x017F;owohl um mich in meiner neuen<lb/>
Kleidung, den Hut unter dem Arm und den<lb/>
Degen an der Seite, &#x017F;ehen zu la&#x017F;&#x017F;en, als<lb/>
auch weil ich ihnen Be&#x017F;uche &#x017F;chuldig war.<lb/>
Ich fand Niemanden zu Hau&#x017F;e, und da<lb/>
ich ho&#x0364;rte, daß &#x017F;ie in die Ga&#x0364;rten gegangen;<lb/>
&#x017F;o gedachte ich ihnen zu folgen und den<lb/>
Abend vergnu&#x0364;gt zuzubringen. Mein Weg<lb/>
fu&#x0364;hrte mich den Zwinger hin, und ich kam<lb/>
in die Gegend, welche mit Recht den Namen<lb/><hi rendition="#g">&#x017F;chlimme Mauer</hi> fu&#x0364;hrt: denn es i&#x017F;t dort<lb/>
niemals ganz geheuer. Ich ging nur lang¬<lb/>
&#x017F;am und dachte an meine drey Go&#x0364;ttinnen,<lb/>
be&#x017F;onders aber an die kleine Nymphe, und<lb/>
hielt meine Finger manchmal in die Ho&#x0364;he,<lb/>
in Hoffnung &#x017F;ie wu&#x0364;rde &#x017F;o artig &#x017F;eyn, wieder<lb/>
darauf zu balanciren. In die&#x017F;en Gedanken<lb/>
vorwa&#x0364;rts gehend erblickte ich, linker Hand,<lb/>
in der Mauer ein Pfo&#x0364;rtchen, das ich mich<lb/>
nicht erinnerte je ge&#x017F;ehen zu haben. Es<lb/>
&#x017F;chien niedrig, aber der Spitzbogen dru&#x0364;ber<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[109/0125] Nachmittags wollte ich einige Freunde be¬ ſuchen, ſowohl um mich in meiner neuen Kleidung, den Hut unter dem Arm und den Degen an der Seite, ſehen zu laſſen, als auch weil ich ihnen Beſuche ſchuldig war. Ich fand Niemanden zu Hauſe, und da ich hoͤrte, daß ſie in die Gaͤrten gegangen; ſo gedachte ich ihnen zu folgen und den Abend vergnuͤgt zuzubringen. Mein Weg fuͤhrte mich den Zwinger hin, und ich kam in die Gegend, welche mit Recht den Namen ſchlimme Mauer fuͤhrt: denn es iſt dort niemals ganz geheuer. Ich ging nur lang¬ ſam und dachte an meine drey Goͤttinnen, beſonders aber an die kleine Nymphe, und hielt meine Finger manchmal in die Hoͤhe, in Hoffnung ſie wuͤrde ſo artig ſeyn, wieder darauf zu balanciren. In dieſen Gedanken vorwaͤrts gehend erblickte ich, linker Hand, in der Mauer ein Pfoͤrtchen, das ich mich nicht erinnerte je geſehen zu haben. Es ſchien niedrig, aber der Spitzbogen druͤber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/125
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/125>, abgerufen am 25.11.2024.