Mir träumte neulich in der Nacht vor Pfingstsonntag, als stünde ich vor einem Spie¬ gel und beschäftigte mich mit den neuen Som¬ merkleidern, welche mir die lieben Aeltern auf das Fest hatten machen lassen. Der An¬ zug bestand, wie ihr wißt, in Schuhen von sauberem Leder, mit großen silbernen Schnal¬ len, feinen baumwollnen Strümpfen, schwar¬ zen Unterkleidern von Sarsche, und einem Rock von grünem Berkan mit goldnen Bal¬ letten. Die Weste dazu, von Goldstoff, war aus meines Vaters Bräutigamsweste geschnit¬ ten. Ich war frisirt und gepudert, die Lo¬ cken standen mir wie Flügelchen vom Kopfe; aber ich konnte mit dem Anziehen nicht fer¬
Der neue Paris, Knabenmaͤhrchen.
Mir traͤumte neulich in der Nacht vor Pfingſtſonntag, als ſtuͤnde ich vor einem Spie¬ gel und beſchaͤftigte mich mit den neuen Som¬ merkleidern, welche mir die lieben Aeltern auf das Feſt hatten machen laſſen. Der An¬ zug beſtand, wie ihr wißt, in Schuhen von ſauberem Leder, mit großen ſilbernen Schnal¬ len, feinen baumwollnen Struͤmpfen, ſchwar¬ zen Unterkleidern von Sarſche, und einem Rock von gruͤnem Berkan mit goldnen Bal¬ letten. Die Weſte dazu, von Goldſtoff, war aus meines Vaters Braͤutigamsweſte geſchnit¬ ten. Ich war friſirt und gepudert, die Lo¬ cken ſtanden mir wie Fluͤgelchen vom Kopfe; aber ich konnte mit dem Anziehen nicht fer¬
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0121"n="105"/><divn="2"><head><hirendition="#g">Der neue Paris,<lb/>
Knabenmaͤhrchen</hi>.<lb/></head><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Mir traͤumte neulich in der Nacht vor<lb/>
Pfingſtſonntag, als ſtuͤnde ich vor einem Spie¬<lb/>
gel und beſchaͤftigte mich mit den neuen Som¬<lb/>
merkleidern, welche mir die lieben Aeltern<lb/>
auf das Feſt hatten machen laſſen. Der An¬<lb/>
zug beſtand, wie ihr wißt, in Schuhen von<lb/>ſauberem Leder, mit großen ſilbernen Schnal¬<lb/>
len, feinen baumwollnen Struͤmpfen, ſchwar¬<lb/>
zen Unterkleidern von Sarſche, und einem<lb/>
Rock von gruͤnem Berkan mit goldnen Bal¬<lb/>
letten. Die Weſte dazu, von Goldſtoff, war<lb/>
aus meines Vaters Braͤutigamsweſte geſchnit¬<lb/>
ten. Ich war friſirt und gepudert, die Lo¬<lb/>
cken ſtanden mir wie Fluͤgelchen vom Kopfe;<lb/>
aber ich konnte mit dem Anziehen nicht fer¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[105/0121]
Der neue Paris,
Knabenmaͤhrchen.
Mir traͤumte neulich in der Nacht vor
Pfingſtſonntag, als ſtuͤnde ich vor einem Spie¬
gel und beſchaͤftigte mich mit den neuen Som¬
merkleidern, welche mir die lieben Aeltern
auf das Feſt hatten machen laſſen. Der An¬
zug beſtand, wie ihr wißt, in Schuhen von
ſauberem Leder, mit großen ſilbernen Schnal¬
len, feinen baumwollnen Struͤmpfen, ſchwar¬
zen Unterkleidern von Sarſche, und einem
Rock von gruͤnem Berkan mit goldnen Bal¬
letten. Die Weſte dazu, von Goldſtoff, war
aus meines Vaters Braͤutigamsweſte geſchnit¬
ten. Ich war friſirt und gepudert, die Lo¬
cken ſtanden mir wie Fluͤgelchen vom Kopfe;
aber ich konnte mit dem Anziehen nicht fer¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/121>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.